Identität, Gemeinschaft, Macht: Einladung des Institut Iliade

Bereits seit einigen Jahren ist unser Verlag regelmäßiger Gast der »Kolloquien«, also der großen jährlichen Veranstaltung des französischen Institut Iliade. Verlagsleiter Philip Stein sprach dort vor neun Jahren gar als erster Deutscher überhaupt. Die Partnerschaft zwischen unseren beiden Häusern ist mittlerweile offiziell, wie unsere »Fundamente«-Reihe in Zusammenarbeit mit eben jenem Institut deutlich macht. In dieser Reihe ist auch das Buch Henri Levavasseurs erschienen, der seit langem für das Institut tätig ist und mit nachfolgendem Text auf das diesjährige Kolloquium einstimmen möchte. Auch Jungeuropa wird dabei sein, Benedikt Kaiser wird einen Vortrag halten, wenn das Institut Iliade am 5. April 2025 in Paris wieder seine Tore öffnet. Anmeldungen nimmt das Institut hier entgegen.

Globalisierung und Finanzialisierung, Deindustrialisierung und Tertiärisierung, Digitalisierung und Dematerialisierung, Uberisierung und Prekarisierung, Robotisierung … Innerhalb weniger Jahrzehnte hat die Arbeit tiefgreifende Veränderungen erfahren, die zu Spannungen, Enttäuschungen und Sorgen führen und uns veranlassen, den Platz, den sie in unserem Leben und in unserer Gesellschaft einnimmt, zu hinterfragen. Die Arbeit befindet sich in einer Krise. Wir müssen sie also »überdenken«, aber auch neue Wege finden, um sie im Kontext der neuen Schicksalsgemeinschaft, die Europa eingehen muss, »neu zu verzaubern«.

Griechen und Römer unterschieden zwischen der entfremdenden Arbeit (ponos, labor) und der eigentlichen schöpferischen Tätigkeit (ergon und poiesis, opus), die eng mit dem Logos verbunden war. Ersteres war für den freien Mann und den Bürger nicht geeignet, der stattdessen lernen musste, das otium zu pflegen, die Zeit, die der studierten Muße und der Meditation gewidmet war, jenseits des negotium, dem Bereich der Produktion und des kommerziellen Gewinns.

Die mittelalterliche Gesellschaft war in drei Ordnungen gegliedert, die auf eine alte indoeuropäische Struktur zurückgehen: Die laboratores mussten einer produktiven Tätigkeit nachgehen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, während die oratores und bellatores die beiden Schwerter, das geistliche und das weltliche, führten. Die Ausübung eines Handwerks, das von der Kirche als Weg zur Erlösung und Heiligung angesehen wurde, hatte eine zutiefst gemeinschaftliche Dimension im Rahmen von Dorfgemeinschaften, Zünften und Gilden, in denen das Ideal der »gut gemachten Arbeit« vorherrschte.

Benedikt Kaiser wird in Paris einen Vortrag halten. Unser Verlag betreibt zudem einen eigenen Messestand vor Ort.

Im Zuge der protestantischen Reformation, der liberalen englischen Theorien der Aufklärung und der marxistischen Theorien des folgenden Jahrhunderts setzte sich im Westen allmählich eine neue, im Wesentlichen utilitaristische und marktwirtschaftliche Auffassung von Arbeit durch, die einen tiefen Bruch mit den antiken und mittelalterlichen Konzepten darstellte. Der mit dem Aufschwung des Manufakturkapitalismus aufgekommene Begriff der »Arbeit«, der auf seine strikt materielle Dimension reduziert wurde, ist eine Erfindung der Moderne. Der Begriff »Arbeit« war von nun an untrennbar mit dem Streben nach Produktivität verbunden und wurde allein von der wirtschaftlichen Rationalität bestimmt, sodass er sich in der gesamten Gesellschaft als entscheidender »Wert« durchsetzte. Der Aufschwung des Maschinismus und das Zeitalter der Massen werden im 20. Jahrhundert zur »totalen Mobilisierung« der Produktivkräfte, so dass die gesamte menschliche Tätigkeit in vollem Umfang quantifizierbar wurde und der Mensch selbst zum Rädchen im Getriebe der globalen technischen und wirtschaftlichen Prozesse wurde.

Nichts schien diese Entwicklung in Frage stellen zu können. Dennoch scheint es, dass Arbeit heute in der gesamten modernen westlichen Welt ein Wert ist, der in Frage gestellt wird. Ist dies das Ende eines Zyklus?

In dem Maße, wie sich das Tempo der technologischen Revolutionen beschleunigt, erfährt die Arbeit radikale Veränderungen, die bereits seit langem bestehende Tendenzen noch verstärken: Gefühl des Sinnverlusts im Beruf, Sucht nach sinnloser Freizeitgestaltung, Verschwinden der gemeinschaftlichen Dimension, Ausbreitung des Virtuellen, Vernichtung von Arbeitsplätzen, Verwandlung des Arbeitnehmers in ein austauschbares Element der »Managementmaschine«. In einer Zeit, in der sich der Wettbewerb zwischen den Großmächten verschärft und das Ende der Illusionen einer »glücklichen Globalisierung« eingeläutet wird, bringen die Entscheidungen, die unsere Politiker in den letzten Jahrzehnten getroffen haben, die Völker und Nationen Europas in eine besorgniserregende Situation der Verwundbarkeit: Verlust der Souveränität im Energie- und Technologiebereich, übertriebene Deindustrialisierung und Tertiärisierung, Rückgriff auf wenig qualifizierte und billige außereuropäische Arbeitskräfte, eine echte Reservearmee des Kapitals, die dazu bestimmt ist, die Faulheit der Verbraucher ebenso zu befriedigen wie die Marktgier privater Interessengruppen, während die Staaten unter der Schuldenlast zusammenbrechen.

Dieser Niedergang ist zweifellos nicht unausweichlich, vorausgesetzt, die Europäer nehmen ihr Schicksal wieder in die Hand und zeigen, dass sie in der Lage sind, über die Arbeit von morgen in Bezug auf Identität, Gemeinschaft und Souveränität nachzudenken: Indem sie auf die dauerhaften Werte ihrer Zivilisation zurückgreifen, aber auch erfinderisch sind, können sie ihrer Produktionstätigkeit wieder Sinn und Effizienz verleihen und die Arbeit wieder als Weg zur Exzellenz und als Instrument der Macht begreifen. Die Eroberung der strategischen Autonomie des europäischen Kontinents ist die erste und unumgängliche Etappe dieser Erneuerung. Sie beruht auf eminent politischen Entscheidungen und nicht auf kurzsichtigen, ausschließlich finanziellen Erwägungen. Um der Arbeit wieder einen Sinn zu geben, muss die streng materialistische, individualistische und utilitaristische Sicht der menschlichen Tätigkeit überwunden werden, um sie in die Perspektive eines gemeinsamen historischen Schicksals zu stellen.

Abgesehen von diesen Überlegungen muss der europäische Mensch auch die Kontrolle über seine Zeit zurückgewinnen, um anstelle eines konsumorientierten Freizeitverhaltens den Geschmack des Otiums zu entwickeln, einer Freizeit, die die Seele und den Geist erhebt. Genau dies ist eine der Möglichkeiten, die die technologische Entwicklung bietet, vorausgesetzt, die Kontrolle über die Technologie wird von einer neuen, erfinderischen Elite erobert, deren Weltanschauung den Sinn für Maß und den Willen zur Macht miteinander zu verbinden weiß.

Dies sind die Wege, die das Institut Iliade im Rahmen seines XII. Kolloquiums und des zweiten Heftes des Pôle Etudes, das zu diesem Anlass erscheinen wird, zu erkunden beabsichtigt.

(Autor: Henri Levavasseur)

Ein Gedanke zu „Identität, Gemeinschaft, Macht: Einladung des Institut Iliade“

  1. Natürlich ist die Teilnahme von Jungeuropa am Illiade Kolloquium zu begrüßen. Den Text von Henri Levasseur dazu, oben finde ich allerdings für nicht ausreichend. Zwar ist von Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den Großmächten die Rede aber kein Wort zum aktuellen Krieg in Europa der gerade ins dritte Jahr geht. „Verschärfung des Wettbewerbs“ geht dem Wirtschaftskrieg voraus und dieser ist der Vorlauf zum heißen Krieg. Genau dies zeichnet doch die ganze vergangene Dekade aus, ein ökonomischer, technologischer und geopolitischer Konflikt der bereits zum Krieg geführte hat, dessen Ende nicht absehbar ist. Wer Prinzipien und Wege einer zu veränderten Weltordnung aufstellen will muss sich hierzu erklären. Das kann ich in dem Text nicht erkennen. Wir stehen vor einer geopolitischen Weltrevolution, die dringend auch Alternativen zur herrschenden volkswirtschaftlichen Hegemonie aufzeigen muss. Der links-woken, selbstverliebten Kaste, die ihre repressiven Utopien auf dem Rücken der sozial Ausgegrenzten in Europa und den Verelendeten in der Dritten Welt austrägt muss mit alternativen Konzepten zum Kapitalismus entgegengetreten werden. Das ist der wesentliche Kern von „Solidarischem Patriotismus“, der in Büchern abgehandelt ist, seine Umsetzung in praktisches Handeln ist aber ausgeblieben.

    Peter Backfisch

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