26.02.2022, Richtung Slowakei
Auf gepacktem Rucksack sitzend warte ich auf meine Mitfahrgelegenheit. Noch wissen nur Einzelne von meinem Vorhaben, schließlich haben die deutschen Behörden angekündigt, die Ausreise von »Rechten« ins Kriegsgebiet zu verhindern. Ich habe in der Vergangenheit schon genügend Erfahrungen mit den Damen und Herren von Polizei und Geheimdiensten machen können, um zu wissen, dass ein Ausreiseverbot im Zweifel keine leere Ankündigung, sondern ein mehrseitiger Wisch samt der Wegnahme des Passes sein kann. Daher gehe ich lieber auf Nummer sicher und halte die Pläne so geheim wie möglich; auch den Flugmodus meines Telefons würde ich erst nach dem Verlassen des deutschen Hoheitsgebietes deaktivieren.
Da ich an meinem gegenwärtigen Aufenthaltsort nur für eine begrenzte Zeit zu verweilen gedenke, habe ich einen Großteil meiner eigenen Ausrüstung nicht parat. Von Freunden hatte ich am Vorabend daher möglichst unauffällig Rucksack, Schlafsack und Isomatte geliehen, die nun gepackt zur Losfahrt bereitstehen. Ein ukrainischer Kamerad, der eigentlich händeringend nach einer Mitfahrgelegenheit sucht, kann nicht mitkommen …
Als mein Kollege ankommt, gehen wir noch einmal alles durch: Reiseroute, Wasser, Essen, aktuelle Nachrichtenlage, Diesel und überhaupt jedes Detail, das man für solche Reisen ins Ungewisse beachten sollte. Da die Versorgungslage unklar ist, füllen wir neben Rucksäcken auch zwei große Tüten mit Nudeln, Reis, Kartoffeln und Dosen in unseren Kofferraum. Zur Gesellschaft haben sie vierzig Liter Diesel und bald 25 Liter Wasser, Schlafsäcke und Isomatten. Während ich mich für den Fall der Fälle auf einen Rucksack mit allem Notwendigen drin und dran begnüge, hat mein Kollege mehrere Gepäckstücke dabei; Kameraausrüstung kostet Platz. Aufgeteilt sind seine Sachen aber dennoch so, dass er sich im Zweifel nur den wichtigsten Rucksack packt – man weiß ja nie.
Einen Autoatlas für alle Fälle, einen der wenigen noch fehlenden Gegenstände unserer Einkaufsliste, wollen wir unterwegs an einer Tankstelle holen. Zu diesem Zeitpunkt konnten wir beide jedoch noch nicht ahnen, dass diese anscheinend Opfer der Digitalisierung geworden sind. Auf bald 1000 Kilometer Strecke gibt es an keinem Rasthof, keiner Tankstelle und keinem Großmarkt einen der uns aus unserer Kindheit vertrauten gelben Autoatlanten. Zwar füllt am Ende keine Straßenkarte unsere Beifahrertür, dafür aber der Eintrag in unser Notizbuch, baldmöglichst nach unserer Rückkehr solche zu bestellen.
Unser Weg führt uns durch die Slowakei, denn die polnischen Grenzer sollen niemanden in Richtung Ukraine durchlassen. Ob Wahrheit oder Gerücht können wir nicht überprüfen. Es ist eine von tausend nicht verifizierbaren und oft gegensätzlichen Aussagen. Dieser Zustand der unsicheren Informationslage wird im Übrigen unser treuester Begleiter auf der Reise werden, sehr zu unserem Missfallen. Aber so erhalten wir wenigstens einen Eindruck eines weiteren europäischen Landes, dessen teils herrliche Landschaft uns für lange Reiseabschnitte die Zeit verkürzt.
Musikalische Unterhaltung kommt aus Italien; Bronson und ZetaZeroAlfa drehen im Radio genauso ihre Runden wie die Reifen auf den Straßen unter uns. Unser einziger Stopp gilt einem kurzen Essen, bei den slowakischen Nationalgerichten Kapustnica und Bimsennocken führen wir die Gespräche fort, die unsere ganze Fahrt schon einnehmen: Die Mängel der deutschen Rechten, unsere politischen Erlebnisse, diese Erfahrung und jene lustige Anekdote und natürlich die Betrachtung dieses Konflikts. Grob haben wir dieselbe Betrachtungsweise, auch wenn ich sicherlich eine entschiedener pro-ukrainische Haltung habe, als der Verlag (siehe Statement der Jungeuropa-Kernmannschaft). Ich werde mich diesem Thema nach unserer Reise widmen.
Wir hatten also mehr als genug Gesprächsstoff für die hunderten Kilometer bis Košice. Da die Ukraine ab 22 Uhr eine Ausgangssperre verhängt hat und wir den benötigten Zeitaufwand zum Grenzübergang nicht einschätzen können, beziehen wir heute noch Quartier auf slowakischer Seite. Eine Idee, die leichter gedacht als in die Tat umgesetzt ist.
Das erste von uns im Internet herausgesuchte Hotel stellte sich als reine Kneipe raus, in der wir freilich von zwei deutschsprechenden Slowaken wenigstens noch ein paar Informationen von der Situation an der Grenze erfuhren. Die Einladung auf ein Bier müssen wir leider ablehnen, nach fast 15 Stunden Reise wollen wir nur noch ein Hotel beziehen. Glück damit sollten wir auch beim nächsten nicht haben, nahezu alle Hotels waren voller ukrainischer Flüchtlinge. Wer hier unterkam, konnte man an anhand der parkenden Autos erahnen, deren Preisklasse sicherlich drei Stufen über der unseres kleinen PKWs lag. Erst im nächsten sollten wir endlich unseren wohlverdienten Schlaf finden, nicht ohne vorher noch zahlreiche Nachrichten auszutauschen, die aktuellen Verläufe nachzulesen und weitere Vorbereitungen zu treffen. Morgen würden wir die Grenze passieren – wenn sie uns lassen …
Der erste Teil dieses Tagebuchs findet sich hier.