Der Hegemon und die Demografie

Während Rechtspopulisten alle Probleme der europäischen Völker durch innenpolitische Maßnahmen lösen wollen, träumen geopolitische Visionäre von einer gänzlich anderen Weltordnung. Was aber ist das Entscheidende?

In einem Podcastgespräch diskutierten jüngst der identitäre Aktivist Gernot Schmidt und der »neurechte« Autor Johannes Konstantin Poensgen über »die bipolare Weltordnung«. Schmidt vertrat die von vielen identitären Autoritären, nicht zuletzt Martin Sellner höchstpersönlich, geläufige Auffassung, dass die Weltherrschaft der USA auf weite Sicht unangefochten fortbestehen werde, wenn auch brüchig und mit etlichen Niedergangserscheinungen. Das ist kein transatlantisches Bekenntnis, auch wenn viele Argumente für diese Überzeugung von einem in wesentlichen Zügen romantisierten Bild Amerikas als implizit weißer Weltmacht herrühren.

Demgegenüber sah Poensgen China als aufsteigenden, schon sehr bald stärkeren Pol in der Welt, was ihn dazu veranlasste, gar über eine sinozentrische Unipolarität zu spekulieren – Konzepte einer multipolaren Weltordnung hielt er hingegen für »Träumereien«. Interessant und im Prinzip ausschlaggebend ist jedoch Folgendes: Schmidt und Poensgen waren sich ungeachtet der Bewertung ihrer jeweiligen Argumente darüber einig, dass eine fortwährende Hegemonie des US-Westens über Europa bzw. Deutschland effektiv den Tod unserer Völker bedeute. Ersterer ging davon aus, dass dem derzeitigen Aufbäumen der Chinesen ihre baldige Implosion folgen werde und die geopolitischen Verhältnisse ähnlich aussehen würden wie zuvor, derweil Letzterer in der bipolaren Tendenz der internationalen Verhältnisse einen »Kalten Krieg 2.0« antizipierte, bei dem man als Europäer auf »der Regenbogenseite des Eisernen Vorhanges« sitzen werde. Beides bedeutet aber im Endeffekt dasselbe Dilemma: Europa wird zum erweiterten amerikanischen Schmelztiegel, das Schicksal unserer Völker und Zivilisation scheint damit besiegelt.

Die Rechte ringt spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine mit der Frage, wie man diesem Dilemma entkommen kann, gerade wenn zudem ein militärischer Konflikt mit nicht westlichen Mächten wie Russland dazukommen könnte. Im Prinzip gibt es dabei lediglich zwei grundsätzliche Ansätze, die in jeweils verschiedener Stärke verfolgt werden, einen nach innen und einen nach außen gerichteten. Ersterer klammert die geopolitische Frage aus – entweder weil man sich von der Akzeptanz des Hegemonen die Option zur Wirkung erhofft oder weil man außenpolitische Entwicklungen unterm Strich eben für folgenlos hält. Die dem Primat der Innenpolitik folgenden Ansätze sind:

  1. die identitäre Strategie: Aktivismus und Graswurzelorganisation im Inneren, um alternative Institutionen aufzubauen, welche dann via elektoralen Erfolg recht(-spopulistisch-)er Parteien an die bestehende staatliche (und finanzielle) Infrastruktur angeschlossen werden könnten in der Hoffnung, die hegemonialen Kräfte zu einer Konzession zu zwingen.

    Dies ist im Prinzip die relative Erfolgsgeschichte des mittel- und westeuropäischen Rechtspopulismus der 2010er-Jahre, der aber mit der Figur Giorgia Melonis an seine offensichtlichen Grenzen geraten ist. Der aktivistisch-jugendliche Stil der »Identitären Bewegung« hat sich dabei jedoch als prägend durchgesetzt und wurde von der »Jungen Alternative« bis zur »Freiheitlichen Jugend« kopiert. Die älteren Funktionärseliten des Rechtspopulismus sind hingegen deutlich näher am christdemokratischen Vorreiter geblieben. In der BRD sieht man vor allem am Beispiel der AfD, dass selbst eine ressourcenstarke rechtspopulistische Partei mit einem Segment vorfeldorientierter Politiker nicht einmal annähernd in der Lage ist, tatsächliche Räume alternativer Institutionen aufzubauen oder ausreichend zu fördern. Das liegt nicht zuletzt am rechtspopulistischen Anspruch, eine Kurskorrektur herbeizuführen – und eben keinen »Regime change von rechts«.

  2. der reaktionäre Transatlantismus: Sowohl gestrige Liberalkonservative als auch latent russophobe Rechte haben mit der Wiederkehr des russischen Feindbildes 2022 die Möglichkeit eines innerwestlichen Paradigmenwechsels gesehen. Wenn nach drei Jahrzehnten der Unipolarität eine neue (alte) Bedrohung von außen sichtbar werde, dann müsse auch eine innere Anpassung erfolgen. Während im Kalten Krieg die ideologische Strahlkraft der Sowjetunion die amerikanischen Geheimdienste und Großfinanziers zur Förderung einer nicht marxistischen Linken zwang, könnte mit dem »Anti-LGBTQ«-Russland Putins eine spiegelnde Dynamik einsetzen, wobei der Hegemon die Förderung einer nicht multipolaren Rechten als geostrategische Notwendigkeit erachte, so die Hypothese von Köpfen wie Richard Spencer. Eine »68er-Revolution von rechts«, um die sich in Wokeness überdehnende linksliberale Kulturschickeria abzusägen und junge weiße Männer wieder in die Streitkräfte zu locken, wäre – so gesehen – der Auftakt zur Renaissance einer westlichen race-realistic Rechten, die womöglich sogar die bestehenden Eliten langfristig vertreiben könnte.

    Nach mehr als zwei Jahren Krieg ist klar: Wokeness oder zumindest deren Konsequenzen werden bleiben, die Rechte wird vom Hegemon als inländische Terrorbande verfolgt, und die Wahrscheinlichkeit, dass im Falle einer NATO-Russland-Konfrontation die AfD unter irgendwelchen Ausnahmegesetzen per Anordnung verboten werden würde, ist weitaus größer als die eines von Washington abgesegneten Remigrationskanzlers Björn Höcke. Der Plan, die nativistisch-populistische Energie in vorrangig elektorale Erfolge zu kanalisieren, um am gemeinsamen Tisch mit dem Hegemon die größten Exzesse des woken Kulturterrors abzuwenden, könnte mit der remigrationsfeindlichen Le Pen in Frankreich endgültig als strategische Totgeburt entlarvt werden.

Die Implikationen der amerikanisch-globalistischen Hegemonie und ihrer 1946 in Nürnberg in Stein gemeißelten Maxime, die sich im Inneren in allem artikulieren, was man – vom Regenbogen symbolisiert – ablehnt, führen entsprechend zum Primat der Außenpolitik. Dabei gibt es im Prinzip nur zwei logische Ausrichtungen:

  1. souveränistische Multipolarität: Da man sich über die limitierten Erfolgsmöglichkeiten rechter Politik im Inneren unter dem Status quo keine Illusionen macht und den westlich-amerikanischen Überbau als Völkerkäfig der Europäer erkennt, gilt es, den Bruch der amerikanischen Hegemonie über Europa als Priorität zu behandeln. Alte Grenzkonflikte und nationale Chauvinismen müssen sich hinten anstellen, die identitäre »Reconquista« richtet sich hier nicht gegen muslimisches Humankapital, sondern gegen den atlantischen Feind, der dieses überhaupt erst hier ansiedelt. Die noch in den 1980ern zum Teil wohlwollend als antikommunistischer Schutz relativierte »Wertegemeinschaft« des Westens hat sich längst in ihrer universalistisch-weltdemokratischen Totalität entfaltet, die puritanische Mission ihrer Institutionen ist nun »to dismantle whiteness«, und die NATO sichert diese Transformation militärisch ab. In der reflexiven Verknüpfung des »Großen Austausches« und weißenfeindlicher Staatsideologie mit der bestehenden westlichen Hegemonie wird die Dimension Europas erstmals wieder von rechts denkbar – um die ethnozidale Praxis der liberalen Demokratie zu brechen, muss der Europäer, das Feindbild des Westens (»Whiteness«), als Gegenbild zur politischen Leitidee werden. Die Multipolarität und der damit verbundene Aufstieg neuer Weltmächte werden als Chance betrachtet, um in der Kooperation mit Washingtons Konkurrenten einen europäischen Pol zu gestalten, in dem eine europäische Rechte zur Selbstbehauptung ihrer Völker avancieren könnte.

  2. resignative Multipolarität: Da die europäische Rechte marginalisiert bleibt, der rechtspopulistische Klamauk vollständig ins Herrschaftssystem absorbiert werden kann und die territoriale Heterogenität der europäischen Völker eine kooperative Emanzipation unmöglich zu machen scheint, gibt es in den nächsten Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten keinerlei Hoffnung auf europäische Selbstständigkeit. Die liberalen Demokratien des Westens werden die Überfremdung europäischen Bodens maximal intensivieren und dem rechtspopulistisch-systemkonformen Widerstand gegen den »Großen Austausch« damit sukzessive den Boden entziehen (schließlich sind Ausbürgerungen und das Verweigern von Einbürgerungen aufgrund ethnischer Merkmale verfassungs- und menschenrechtswidrig).

    Deshalb muss das Minimalziel (Selbsterhalt der europäischen Völker) als absolutes Maximalziel behandelt werden, und das bedeutet: Der amerikanische Hegemon muss schnellstmöglich durch einen anderen ersetzt werden, ehe er uns ersetzt hat. Der »Große Austausch« wird dabei heute schon durch das Menschenrechtsregime der liberalen Weltordnung abgesichert, weshalb die Abwicklung dieser Ordnung dringendes Ziel ist. Die einzige Macht, die dafür potenziell in Frage käme, ist China (und nicht Russland), auch wenn die Ausdehnung der BRICS-Staaten auf Europa oder eine direkte Okkupation des Kontinentes durch chinesische Truppen heute noch unwahrscheinlich wirken. Die Hoffnung bleibt, dass die Europäer sich im wirtschaftskolonialen Schatten einer sinozentrischen Epoche spirituell, biopolitisch und vor allem demografisch erholen und dann noch einmal zum großen Wurf der Geschichte ausholen könnten. Oder, mit den Worten von Alan Posener: »Xi Jinping hätte nichts dagegen, wenn die AfD versuchen würde, aus einem bunten ein rein weißes Deutschland zu machen.«

Diese Ansätze und ihre Annahmen sind zugegebenermaßen höchst spekulativ und von dermaßen vielen Variablen abhängig, dass man kaum von kohärenten Strategien sprechen kann. Sie sind jedoch, und das ist der Knackpunkt, konsistenter mit den Befunden Poensgens, Schmidts und Sellners. Obgleich sich der innenpolitisch orientierte identitäre Ansatz vorrangig mit demografischen Entwicklungen befasst, lässt er die dahinterliegende Dynamik und die Implikationen für die Weltpolitik zumeist außer Acht. Denn Fertilitätsprobleme plagen nicht nur die Europäer, und genau wie der »Große Austausch« sind sie systemischer Natur. Der noch bipolare Anbruch einer Multipolarität geht nämlich selbst einher mit demografischen Umbrüchen. Der Ökonom Philip Pilkington schrieb in den American Affairs schon vor zwei Jahren über den »übersehenen Widerspruch des Kapitalismus«, der darin liege, dass mit dem ökonomischen Wachstum sowie der Transgression aller kulturellen und sozialen Normen die menschliche Reproduktion, also das Kinderkriegen, zu einer nachrangigen Konsumoption degradiert worden sei, womit die essenzielle Basis des kapitalistischen Systems – das Humankapital – schwinde. Die Auflösung der Familie durch die feministische Integration der Frau in den Arbeitsmarkt habe in Europa nach dem Kriegsende für einige Jahrzehnte zwar für eine weitere Maximierung von Konsum- und Produktionswerten gesorgt, doch die Langzeitfolge sei neben sozialen Pathologien wie Vereinsamung, instabilen Beziehungen und psychischen Krankheiten vor allem die schrumpfende Bevölkerungszahl. Da das kapitalistische System und die postindustrielle Infrastruktur globalisierter Wirtschaftssysteme jedoch auf eine große, tendenziell wachsende Bevölkerung ausgelegt seien, könne das Gewicht der systemischen Komplexität nicht länger getragen werden. Zudem ist der Flynn-Effekt, also der Anstieg des durchschnittlichen Intelligenzquotienten im Zuge der Industrialisierung, nicht länger messbar – und die Einwanderung von Populationen aus Ländern mit niedrigen IQ-Werten verschärft eine sich bereits anbahnende Kompetenzkrise westlicher Gesellschaften.

Was heißt dies also? Kurz: Es könnte in absehbarer Zeit schlicht zu wenige Menschen geben, die zudem nicht länger intelligent genug wären, um ein höchst komplexes kapitalistisches System zu managen, das selbst mithilfe »Künstlicher Intelligenz« nicht in der Lage wäre, die aufklaffende Lücke durch technologische Innovation zu füllen. Der Globalkapitalismus könnte somit, anders als von Marx erwartet, nicht in der Realisierung eines permanenten Überschusses, sondern in der Modernisierung der gesamten Welt mit der Zerstörung der menschlichen Wachstumsbasis sein eigenes Ende bereiten. »Zumindest bringt die kapitalistische Anhäufung von Reichtum erhebliche wirtschaftliche und demografische Herausforderungen mit sich, die bereits jetzt weltweit zu politischer Instabilität führen«, schlussfolgert Pilkington. Davon sind entsprechend nicht nur Europa oder Nordamerika betroffen: Südkorea beispielsweise hat die niedrigste Geburtenrate der Welt und könnte von einem neuerdings aus der Isolation befreiten Nordkorea, das sich neben den ökonomischen Möglichkeiten der BRICS-Strukturen auch russischer Waffensysteme erfreuen dürfte, vielleicht noch in diesem Jahrhundert in ein wiedervereinigtes Korea annektiert werden. Das ebenfalls vom demografischen Kollaps bedrohte Japan hat bereits größere Segmente von Migranten aufgenommen, vorrangig Kurden, wobei es zu ähnlich gewaltsamen ethnischen Spannungen gekommen ist, wie man sie aus westeuropäischen Städten kennt – und mit Joe Bidens Vorwurf der »Fremdenfeindlichkeit« dürfte klar sein, dass dieser Trend an Intensität gewinnen wird. Vor diesem Schicksal ist die islamische Welt im Übrigen ebenso wenig geschützt wie Ostasien. Die Fertilitätsraten von bereits stark modernisierten und ebenfalls von Migration geprägten Staaten wie Bahrain (1,8), Katar (1,78) oder den Vereinigten Arabischen Emiraten (1,44) lagen bereits 2022 unter der notwendigen 2,1-Marke, Saudi-Arabien wird spätestens ab 2040 darunter liegen (1,99), und der Iran gehört schon seit den 1990ern zu den demografisch schrumpfenden Nationen, mit einem Wert von 1,7 anno 2022. Russland scheint den Krieg in der Ukraine demografisch gerade noch so stemmen zu können, derweil China (aufgrund der Kinderpolitik) und die USA auf einer demografischen Bombe sitzen und keiner weiß, unter wem diese zuerst hochgehen wird. In den USA ist das nachkommende Menschenmaterial bislang unfähig zum Kampf (80 % des Rekrutennachwuchses zwischen 17 und 24 Jahren sind laut US-Verteidigungsministerium nicht dienstfähig), weshalb man – analog zu Rom – Migranten aus aller Welt die Staatsbürgerschaft anbieten will, wenn sie für das Empire zu kämpfen bereit sind. Ähnliche Vorstöße gibt es in Großbritannien und der BRD.

Das Buhlen um das internationale Humankapital wird also eine zunehmend relevante Dimension internationaler Politik, nicht nur ökonomisch, sondern militärisch. Es ist daher keine Überraschung, dass westliche Staaten ihre letzten Überreste europäisch-abendländischer Prägung abkratzen wollen und als multikulturelle »Willkommenskulturen« die Transformation zur reinen ökonomischen Zone anstreben. Wenn die angesiedelten Objekte ein bestimmtes kulturelles Gepäck mit sich bringen, wird dies als Bedingung des systemischen Selbsterhaltes freilich in Kauf genommen, auch wenn damit ethnokulturelle Spannungen und der endgültige Verlust sozialer Vertrauensgrundlagen einhergehen. Die Todesspirale des globalisierten Kapitalismus, der strukturellen Grundlage amerikanischer Hegemonie, bedeutet also eine Zerstörung biologischer wie soziokultureller Bestände durch Sterilität, die wiederum durch Migration verschärft wird, da migrierende Gruppen selbst einen Fertilitätseinbruch erleiden und zudem ethnische Spannungen hervorrufen, die ebenfalls negative Effekte auf die Reproduktionsfitness der einheimischen Gruppe haben. Der Schmelztiegel der »multirassischen Demokratie«, das Ideal des Kosmopolitismus als letzte realisierte Gesellschaftsidee des westlichen Liberalismus mündet so im vergreisten Völkerfriedhof. Die Wahrscheinlichkeit eines Dritten Weltkrieges, die zudem aus etlichen anderen Gründen hergeleitet werden könnte (der zionistischen Eskalationspolitik der US-Neokonservativen sowie des Netanjahu-Regimes, Chinas Durchsetzung als ostasiatischer Hegemon mit der Rücknahme Taiwans, dem Kampf gegen die »Entdollarisierung« der Weltwirtschaft …), ist angesichts der kapitalistischen Krise permanent gegeben. Und das wiederum heißt: Wer den »Großen Austausch« bekämpfen will, der muss neben der geopolitischen Dimension (amerikanische Hegemonie) auch über die strukturelle Bedingung (westlicher Kapitalismus) sprechen.

Aber was heißt das für uns?

  1. Ethnos ist wieder die vorrangige Dimension der Politik. Das ergibt sich nicht nur aus der »Systemkonkurrenz« zwischen den betont multiethnischen Liberaldemokratien des Westens und den als homogen verstandenen Autokratien der restlichen Welt sowie dem religiös aufgeladenen »Rassenkrieg« in Palästina, sondern aus den Bedingungen multikultureller Gesellschaftspolitik als kapitalistischer Praxis. Innerhalb des Westens ist diese besonders asymmetrisch, denn die liberaldemokratische Verfassungsordnung befähigt ethnoidentitäre Interessenpolitik nur entlang minoritärer, aber explizit nicht majoritärer Gruppen. Die durch Massenmigration hervorgerufenen und bislang im Rechtspopulismus kanalisierten Abwehrreflexe der autochthonen Europäer werden entsprechend mit einer immer übergriffigeren Verrechtlichung des Lebens beantwortet, was den revolutionär-ideologischen Regimecharakter der westlichen Menschenrechtsrepubliken immer stärker gegenüber dem formalen Parlamentsapparat hervortreten lässt. Durch diesen in Wokeness auftretenden linksliberalen Maßnahmenstaat wird auch die ideologische Basis der liberalen Demokratie delegitimiert, was erstmals Raum für rechte Grundsatzkritiken eröffnet und eine alternative Ordnungsvision attraktiver macht.

  2. Zur tatsächlichen Überwindung der ethnorelativistischen und hinsichtlich der europäischen Völker ethnozidalen Politpraxis gehört die organisatorische Restrukturierung der Gesellschaft. Die Formierung expliziter »Islamparteien« als Interessenvertretungen orientalischer Migrantenmilieus könnte hier als erster Schritt betrachtet werden, um die Pluralismussimulation der liberalen Demokratie zu sprengen und Ethnos als vorrangige Dimension politischer Auseinandersetzungen (die im Fall von Gaza international hervortritt) im Inneren abzubilden, da hierbei auch das Fremde als Fremdes wieder deutlicher zum Vorschein tritt und die ideologische Staatsbürgereinheit als Farce entlarvt. Dies macht die politische Organisierung der europäischen Nochmehrheitsgesellschaft als ethnischen Interessenblock reflexiv um einiges einfacher, doch selbst hier liegt die größte Hürde in der Gefahr, den Affekten des werteverbalen, westintegrierten Rechtspopulismus zu erliegen, der im Prinzip nur einen verwestlichten Islam und damit die Assimilation von Fremden in den Staatsbürgereintopf verlangt.

  3. Es gibt für rechte Europäer keinen Grund, sich den westlichen Mächten anzubieten. Die Ukrainer sterben gerade den Heldentod in einem aussichtslosen Krieg, an dessen Ende aus dem Land nur eine weitere Multikulturalisierungszone des Westens werden wird. Es gibt zudem erst recht keinen Grund, auf irgendeinem Kreuzer im Indopazifik oder an der levantinischen Küste zu verbluten oder aus Mitteleuropa ein nukleares Schlachtfeld werden zu lassen. Europäer sind für den Westen praktisch kolonialisierte Völker, die bestenfalls als Produktionseinheiten oder Kanonenfutter herhalten dürfen (neuerdings tauchen sie wieder in Rekrutierungsvideos auf). Entsprechend muss man sich gegenüber den westlichen Regimen positionieren.

  4. Auch wenn die geopolitische Debatte die letzten Jahre hindurch Fortschritte gemacht hat, bleibt der Elefant im Raum der Kapitalismus. »Der entfremdeten, säkularen, modernen Weltanschauung, die losgelöst ist von traditionellen Glaubensvorstellungen, welche das Profane sakralisieren, fehlt schlicht das Potenzial, Bevölkerungen zu vitalisieren«, so Keith Woods treffend. Wenn auch die Sterilisierung der Menschheit ein allgemein modern-industrielles Phänomen zu sein scheint, ist eine betont kapitalistische Ordnung im 21. Jahrhundert der Brandbeschleuniger für die Selbstzerstörung eines Volkes. Solange eine europäische Rechte keine weltanschauliche Bewegung darstellt, die sich explizit in den Dienst der Resakralisierung der lebensstiftenden Elemente (Familie, Heimat, Heldenethik – und ihres Nexus: Ethnos) stellt, wird sie ebenso folgenlos sein wie der transatlantische Rechtspopulismus.

Es bedarf endlich eines Paradigmenwechsels, der sich von der uneindeutigen Islamfixierung löst und entlang ethnischer und damit verbundener (außen-)politischer Möglichkeiten die Transformation des politischen Gemeinwesens im Moment des geopolitischen Umbruchs einleitet. Das 21. Jahrhundert muss auch von rechts endlich Gestalt annehmen. Dies bedeutet effektiv das Ende des reaktiven Rechtspopulismus und verlangt stattdessen die Formierung einer avantgardistischen Bewegung, die durch das Ablegen der alten Sprachbilder nicht nur auf der Ebene internationaler Entwicklungen erkannt werden kann, sondern auch die liberaldemokratischen Neutralisierungsmechanismen destabilisiert. Freilich kann und könnte dieses Ziel nur als europäisches Gemeinschaftsprojekt realisiert werden, und zudem ist die Schaffung eines autonomen Europa kein sauberer, klar abgrenzbarer Vorgang, sondern durch abwechselnde Erfolge und Niederlagen, semisouveräne Akteure und ein Ausbalancieren zwischen den Großmächten geprägt. Die Alternativen wären die eingangs skizzierten Optionen: Aussterben unter dem Regenbogen oder Überwintern unter roter Fahne und asiatischen Sternen. Verhandelt wird über diese Dinge ohnehin in anderen Sphären, doch ein Einspruch kann nur von einer Jugend mit Zukunft erbracht werden. Wir streben daher nach einem jungen Europa.

(Autor: Marvin T. Neumann)

Ein Gedanke zu „Der Hegemon und die Demografie“

  1. Absoluter Schwachsinn. Diese redundante Identifikation des Westens mit dem “Regenbogen“ ist so eine peinliche Reduktion von Geopolitik auf innenpolitische Verirrungen. Als wären nicht wir auch der Westen. Als wären Ungarn, Polen und weitere Staaten, die sich aktiv der kultur- und neomarxistischen Politik des “Regenbogens“ erwehren, nicht gerngesehene Mitglieder der NATO. Als würde irgendwer in der Ukraine gerade für die Rechte von Schwulen töten und sterben. Keiner der mit Russland benachbarten Staaten wollte oder will Teil dieses Vielvölkerstaats werden, der immer wieder zum casus belli des Ukrainekrieges gefragt, mit der beabsichtigten “Denazifizierung“ der Ukraine antwortet – so wie Putin zuletzt im Interview mit Tucker Carlson. Der in diesem Artikel monierte “Tod der europäischen Völker“ ist furchtbar heuchlerisch, wenn man bedenkt, dass im Zuge der Russifizierung raumfremde Zentralasiaten und sonstige Nichtweiße in der Ostukraine angesiedelt werden. Eine Praxis, die auch in der vergleichsweise kurzen Geschichte der Russischen Föderation keineswegs neu ist.

    Ein positives Beispiel sollten uns die rechten Finnen sein, deren Ablehnung Russlands nicht auf Völkerrecht, Menschenrechten und LGBT-Politik basiert, sondern auf der tradierten historischen Auseinandersetzung mit dem Russischen Reich. Stattdessen wollen viele Rechte – lustigerweise gerade in Amerika und Westeuropa – ihre innenpolitischen Angelegenheiten auf einen außenpolitischen Konflikt projizieren. Sie wollen verlieren. Sie wollen “Frieden schaffen ohne Waffen“. Um ihren “woken“ Regierungen eins auszuwischen, würden sie sich sogar eine militärische Unterwerfung durch einen autoritären Vielvölkerstaat herbeiwünschen. Wir können uns aber nur selbst befreien. Die von Olaf Scholz vermeintlich angestoßene Zeitenwende hätte eigentlich die AfD einfordern sollen, beziehungsweise weiterhin einfordern sollen. Denn die Forderungen vieler “Transatlantiker“ nach einer verstärkten Autarkie Deutschlands – etwa durch den Ausbau der Atomkraft – und nach einer stärkeren Bundeswehr wie der Wiedereinführung der Wehrpflicht wurden vor dem Ausbruch des Ukrainekrieges von so gut wie allen AfD-Politikern genauso geteilt.
    Was hat sich geändert? Aus welchem peinlichen Ressentimentgefühl heraus wurde man plötzlich zum dogmatischen Pazifisten und Anwalt eines russischen Großreichs? Warum machen wir uns freiwillig zur fünften Kolonne?

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