Am 22. September 2024 erscheint das Buch Demokratie: Das Problem von Alain de Benoist im Jungeuropa Verlag. Angesichts der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg kommt diese kontroverse Schrift genau zur rechten Zeit. Benoists Schlusswort, verfasst im Jahr 1985, doch noch immer von erschreckender Aktualität, stellen wir hier kostenfrei und exklusiv zur Verfügung.
Heute ist jeder ein Demokrat, oder so gut wie jeder. Zumindest behauptet jeder, einer zu sein. Sowohl im Osten als auch im Westen wird im Namen der Demokratie gestritten, und die Debatte beschränkt sich offensichtlich auf eine Polemik darüber, wie man mit einem Begriff, wenn nicht mit einem Modell am besten übereinstimmt, das keiner infrage stellt. Alle Demokratien behaupten übrigens, die »wahre Demokratie« zu verkörpern: die liberalen Demokratien, weil sie respektvoller mit der »individuellen Freiheit« umgehen, die sogenannten Volksdemokratien, weil sie weniger Raum für wirtschaftliche Ungleichheiten lassen. Aber wer sieht nicht, dass diese Einstimmigkeit verdächtig ist?
Hinter den unterschiedlichen Auslegungen und Vorstellungen vom demokratischen Ideal verbirgt sich eine tiefe Krise in Theorie und Praxis der Demokratie. In den westlichen Ländern ist das gesellschaftliche Leben derart vielschichtig geworden, dass freie Entscheidungen es immer schwerer haben, sich durchzusetzen. Subtile Formen der Konditionierung verhindern, dass sich die Meinung frei bilden kann. Die Wahl der politischen Klasse ist keine Garantie mehr dafür, dass dem allgemeinen Interesse gedient wird. Die Gesellschaft ist zu dem geworden, was bereits Tocqueville vorhersagte: »Eine unübersehbare Menge ähnlicher und gleicher Menschen, die sich rastlos um sich selbst drehen, um sich kleine und gewöhnliche Freuden zu verschaffen«, während ein allgegenwärtiger Wohlfahrtsstaat über sie herrscht. Da Einigkeit über das Wort herrscht, kümmert sich niemand mehr darum, die Sache zu hinterfragen. Unter dem Begriff »Demokratie« wird alles Mögliche verstanden. Er muss daher mehr denn je neu definiert werden. Die Demokratie selbst ist neu zu erfinden. Eine wahrlich schwierige Aufgabe, da es im Bereich der politischen Ordnung keine objektive, moralische oder absolute Notwendigkeit gibt. Die Demokratie ist nicht in der »natürlichen Ordnung« enthalten. Sie muss gegründet werden.
Demokratie? Wir sind dafür, und zwar aus einem einfachen Grund: Man kann nicht den Begriff des »Volkes« zum zentralen Begriff einer ganzen Weltanschauung machen und gleichzeitig einem politischen System jeglichen Wert bestreiten, in dem das Volk eine grundlegende Quelle der Legitimation der Macht bildet.
Da die Demokratie die Macht des Volkes darstellt, unterliegt sie dem Prinzip der Vielfalt der Völker. Sie kann daher nicht zu allen Zeiten und an allen Orten die gleiche Form haben. Francesco Nitti meinte weise: »Eine für alle Menschen gemachte Verfassung ist letztlich für niemanden gemacht. Es gibt auf der Welt Engländer, Deutsche, Italiener, Russen, Japaner und so weiter. Den Menschen gibt es nicht.« Aus diesem Grund kann die Demokratie nicht auf der inakzeptablen Unterscheidung zwischen »Mensch« und »Bürger« beruhen. Die Demokratie ist keine Antwort auf die »unveräußerlichen« Rechte eines Individuums, das als außerhalb jeder sozialen Zugehörigkeit stehend aufgefasst wird. Mit anderen Worten ist sie das Regime, das die politischen Rechte des Menschen als Bürger festschreibt.
Die Aufklärung hat die Demokratie, die zur ältesten politischen Tradition Europas gehört, nicht erfunden. Sie hat ihr lediglich einen anderen Inhalt gegeben. Indem sie verkündete, dass die Gleichheit der politischen Rechte eine natürliche Gleichheit widerspiegele, indem sie das Volk als bloße Vielheit gleichberechtigter Individuen betrachtete, kurzum: indem sie sich nicht von der griechischen Demokratie inspirieren ließ, sondern von dem aus der biblischen Tradition abgeleiteten egalitären Individualismus, hat die Aufklärung die Demokratie ihrer ursprünglichen Substanz beraubt und sie in eine »Mystik« verwandelt, die soziale Atomisierung und neue Formen der Tyrannei hervorbringt.
Wollen wir auf die Angriffe auf die Demokratie reagieren und diese wieder fest auf die Grundlagen stellen, die ihrer ursprünglichen Inspiration entsprechen und das Beste ihres Ideals darstellen, so müssen wir zum Ausgangspunkt zurückkehren: zum Volk. Die Behauptung, dass die Macht »vom Volk ausgeht«, dass sie »im Dienst des Volkes steht«, bedeutet nämlich, dass das Volk eine historische Rolle zu spielen hat. Die Ausübung der Demokratie besteht also darin, jedem die Möglichkeit zu geben, an der Erfüllung dieser historischen Rolle mitzuwirken.
Ein Volk ist eine organische Gemeinschaft von Bürgern. Über einen längeren Zeitraum hinweg betrachtet deckt sich sein Wille »mit seinem Schicksal« (Thomas Mann). Demnach ist das Volk niemals die bloße Summe der Individuen, die es zusammensetzen. Es ist auch nie ein Teil der Gemeinschaft, sondern selbst die Gemeinschaft, sofern diese zu einer eigenen politischen Einheit geformt ist: »Nichts ist nationaler als das Volk«, meinte François Perroux. Durch Individualismus und einen Ökonomismus, der zur Standardisierung der Lebensund Verhaltensweisen beiträgt, führt die westliche Ideologie den Zerfall und die Verarmung der Völker herbei. Wo es aber kein Volk mehr gibt, kann es auch keine Demokratie geben. Die Einführung eines demokratischen Systems in einer heterogenen Gesellschaft, die weder gemeinsame Werte noch kulturellen Zusammenhalt hat, kann nur problematisch sein. Das ist wohl das Paradoxon, das der gegenwärtigen Krise zugrunde liegt: Man redet ständig von Demokratie, das heißt von der »Macht des Volkes«, während die Völker immer mehr als vernachlässigbare Größen betrachtet werden.
Die Überwindung der Krise der Demokratie setzt voraus, dass der Begriff des »Volkes«, nicht der des »Individuums«, wieder zur zentralen Kategorie des gesellschaftlichen Lebens wird.
[Die im Original enthaltenen Quellenverweise wurden für die Onlineversion gestrichen.]
Das Buch Demokratie: Das Problem kann hier bestellt werden.
Benoist hat natürlich recht, doch auch Frankreich ist eine US-Kolonie und muss den Kolonialherren gehorchen.