Noch mehr neoliberale Floskeln machen immer noch keine Metapolitik. So oder so ähnlich hätte der Titel des folgenden Artikels auch lauten können (jedenfalls hinsichtlich seines ersten Teils). Im Zuge einer sozial- und wirtschaftspolitischen Debatte auf Arcadi, zu der der Autor dieser Zeilen bereits eine sozialistische Entgegnung auf einen neoliberalen Text von Christoph Facius beigesteuert hatte, sind in den vergangenen Wochen zwei weitere Stellungnahmen erschienen. Eine davon, die neueste, stammt erneut aus der Feder von Facius und trägt den Titel »Sozialstaat oder soziale Gesellschaft?«.
Viele neue Argumente entdeckt man darin jedoch nicht. Erneut werden ohne argumentative Unterfütterung oder Herleitung einfach nett klingende Bonmots in den Raum geworfen, die sich auf einem FDP-Wahlplakat vielleicht gut machen würden, aber inhaltlich keinerlei Neuheitswert haben: So ist von »Verantwortung« die Rede, von einer »partnerschaftlichen Gemeinschaft« im Gegensatz zu einem fast dämonisierten »anonymen Staatsapparat«.
Vom Sinn und Zweck des Sozialstaates
Doch ergründen wir doch mal, wieso und wozu es diesen bösen, kalten, unpersönlichen »anonymen Staatsapparat« – also den grundgesetzlich verankerten Sozialstaat und die an ihm hängende Sozialverwaltung – überhaupt gibt, und wieso eine rein »zivilgesellschaftliche Hilfe«, wie sie sich Facius vorstellt, nicht ausreicht.
Die Entstehung und das starke Anwachsen staatlicher Bürokratien und Verwaltungsapparate lassen sich auf das 19. und frühe 20. Jahrhundert datieren. Hintergrund sind die gestiegenen Ansprüche an den Staat, von dem man fortan mehr erwartet hat als von den politischen Strukturen der Jahrhunderte zuvor – wie etwa die Verwirklichung sozialer Rechte. Eine Lehre, die dem Elend des Manchester-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts entsprang, der zur Ausbeutung und Verwahrlosung der im Zuge der Industrialisierung neu entstandenen Arbeiterklasse geführt hat, und dies in kontinentalem Ausmaß.
Die vom Organisations- und Verwaltungssoziologen Max Weber, dessen Lebenswerk maßgeblich aus der Analyse u. a. dieser Entwicklungen besteht, als »stahlharte Gehäuse« beschriebenen staatlichen Bürokratien bzw. Verwaltungsorganisationen sind geprägt durch verschiedene Elemente, die sie von allen bisherigen sozialen Einheiten (Familien, Gruppen, Gemeinschaften etc.) unterscheiden. Staatliche Bürokratien und Verwaltungsorganisationen funktionieren nicht nur über Hierarchien, sondern sind auch geprägt durch eine andere Art der internen Kommunikation, nämlich durch die sogenannte Aktenmäßigkeit, durch Schriftlichkeit und Verbindlichkeit.
Behörden, staatliche Bürokratien und Verwaltungsorganisationen zeichnet also spezifisch eine verbindliche Art der Kommunikation aus. Und dies hat durchaus seinen Sinn: Was verbindlich ist, ist schriftlich nachvollziehbar und dadurch für den Bürger transparent und berechenbar. Daher kommuniziert die Verwaltung über Bescheide und Formulare; deswegen wird bei Sitzungen und Besprechungen ein schriftliches Protokoll geführt. Deswegen gibt es Pläne, Vorgaben, Rechtsnormen und Sicherheiten dieser Art. Der Bürger weiß, woran er ist, womit er rechnen darf und womit nicht. Und selbiges gilt auch für soziale Organisationen, die Dienstleistungen für den Staat übernehmen: Man denke hier etwa an Wohlfahrtsverbände, die Pflegeleistungen, Beratungsstellen und vieles mehr zur Verfügung stellen, beispielsweise auch im Rahmen von Leistungsverträgen mit Kommunen.
Soziale Leistungen brauchen Verbindlichkeit
Die Hochglanzprospekt-Rhetorik von »partnerschaftlichen Gemeinschaften« und »zivilgesellschaftlicher Hilfe«, wie man sie bei Facius findet, klingt so lange ganz hübsch, bis man sich diesen Zusammenhang klarmacht. Denn die Instanzen, die abseits des Staates selbst soziale Leistungen bereitstellen, sind angewiesen auf staatliche und kommunale Zuschüsse. Sie sind eben keine Wirtschaftsunternehmen – mit beispielsweise der Pflege von Menschen lässt sich kein Gewinn machen, wenn man diese nicht ausbeuten will. Wer aber schon mal z. B. in kommunalen Gremien wie Jugendhilfe- oder Sozialausschüssen tätig war, weiß, dass es hierfür Berechenbarkeit braucht. Auch eine Arbeiterwohlfahrt (AWO) etwa muss Finanzpläne erstellen, um ihre Dienstleistungen planen zu können, und um dies verbindlich und sicher tun zu können, braucht sie staatliche und kommunale Verhandlungspartner, die ihr diese Sicherheit gewährleisten können.
In einer Gesellschaft hingegen, die soziale Leistungen auf rein zivilgesellschaftliche Hilfen reduzieren würde, wären soziale Organisationen – wie kirchliche Hilfseinrichtungen vor ein paar Jahrhunderten – von Almosen abhängig; mithin von den »Geberlaunen« vermögender Bürger und Organisationen, die, wenn sie plötzlich keine »Lust« mehr haben zu helfen, mit einem Fingerschnips ihre Zahlungen einstellen könnten. Glaubt ernsthaft jemand, dass sich in einer solchen Gesellschaft die Leistungen, die heute zum sozialen Standard einer zivilisierten Gesellschaft gehören, aufrechterhalten ließen? Glaubt wirklich jemand, dass ein Wohlfahrtsverband auf diese Weise Heime oder Beratungsstellen betreiben könnte? Man merkt also: Dieser böse, »anonyme Staat«, diese dämonische, bürokratische Krake, über die sich Neoliberale so gerne echauffieren, hat bei näherem Hinsehen durchaus einen Sinn.
Richtig ist es, dass der deutsche Sozialstaat nicht dazu dienen kann, alle Welt zu versorgen: Wie jeder Staat hat er Kapazitätsgrenzen, die eingehalten werden müssen, um zu funktionieren. Ein universalistisches Verständnis des Sozialstaatsprinzips, wie es seit neuestem manche linksliberale »Experten« in falscher Interpretation des Grundgesetzes an den Tag legen und wie es bei den Grünen, der Linken, der SPD und wohl auch der CDU mittlerweile vorherrscht, kann daher kein akzeptabler Weg sein. Die deutsche Staatsbürgerschaft darf nicht entwertet werden, indem man die Zugänglichkeit zu sozialstaatlichen Leistungen aufweicht und den Sozialstaat zerstört, indem man ihn zum Service für jeden umfunktioniert, der die von Merkel geöffneten Grenzen passiert hat. Soweit: Konsens.
Wenn Neoliberale von »Schuld« sprechen
Doch dann nennt Facius zwei weitere Gruppen, denen er nur noch »zivilgesellschaftlich« helfen will: Drogensüchtige und, wie er es nennt, »schuldhaft Langzeitarbeitslose«. Hier muss man wieder stutzen: Nun setzt es sicherlich einige sehr unkluge Schritte im Leben voraus, um in eine Drogenabhängigkeit zu fallen. Doch rechtfertigt dies, dass der Staat einen Suchtkranken in dieser Lage komplett im Stich lässt? Die vorgenommene Übertragung eines Konzeptes aus dem Rechtssystem (und ursprünglich der monotheistischen Religion), nämlich der »Schuld«, auf soziale Fragen ist mehr als problematisch, denn wie »schuldig« ist jemand, der in eine Problemfamilie hineingeboren wurde und dann, dadurch bedingt, etwa als Teenager endgültig auf die schiefe Bahn geriet? Wie »schuldig« ist jemand, der in einer Familie ohne positive Rollenvorbilder aufwuchs und dadurch nie gelernt hat, wie wichtig Arbeit, Struktur, Ambitionen und Entwicklungsziele im Leben sind?
Im Gegensatz zu jenen Mythen, die Neoliberale liebend gern verbreiten, ist eben nicht »jeder seines Glückes Schmied«. Wer dafür eine wissenschaftliche Unterfütterung braucht, der möge das instruktive Werk des Soziologen Pierre Bourdieu lesen: Der Mensch geht seinen Lebensweg eben nicht nur beeinflusst durch ökonomisches, sondern auch durch soziales, kulturelles und symbolisches Kapital. Anders gesagt: Ohne eine ihn fördernde Familie, ohne Vorbilder, ohne einen unterstützenden Freundeskreis, ohne gewisse habituelle Voraussetzungen und Bildungsabschlüsse, ohne sozialen Status wird der Mensch »nur von sich aus« nur sehr schwer gesellschaftlich aufsteigen können – auch unabhängig seiner Intelligenz.
Die Sozialisation funktioniert maßgeblich auch durch »Lernen am Modell« – und wenn das Modell ein schlechtes ist (also die Eltern keine guten Vorbilder bieten), wird auch nichts Gutes gelernt. Diese Problematik entfaltet sich bereits und vor allem auch in der frühkindlichen Phase, in der die Grundlagen gelegt werden für das, was wir später als »Charaktereigenschaften« eines Menschen wahrnehmen und einstufen. Angesichts dieser – entwicklungspsychologisch belegbaren – Tatsachen ist es schon reichlich zweifelhaft, hier von »Schuld« zu sprechen und darauf basierend jeden, der gesellschaftlich nicht mithalten kann, staatlicherseits im Stich lassen zu wollen – oder gar als »Taugenichts« zu beschimpfen. Darüber werden auch alle darauf noch folgenden Phrasen über »Dekadenz« und »individuelle Verantwortung«, die ein völliges Ausblenden der oben beschriebenen Prozesse implizieren, nicht hinweg täuschen können.
Kein Teil des Mosaiks
Mit »Patriotismus« hat diese Einstellung dann schließlich auch nichts, wirklich gar nichts zu tun. Patriotismus kann nur sozial sein, denn wer patriotisch ist, liebt sein Land und sein Volk in all seinen Ausprägungen, unabhängig seiner Schichten und Klassen. Ein Patriot spart nicht einzelne Gruppen des Volkes naserümpfend von der Heimatliebe aus, sondern sieht stets die Notwendigkeit einer staatlich organisierten – und eben dadurch verbindlich gemachten (s. o.) – Solidargemeinschaft, in der aufeinander Verlass ist.
Insofern hat eine solche neoliberale Haltung, wie sie hier kritisiert wird, auch nichts mit einem anderen »Flügel« des organisierten Konservatismus o. Ä. zu tun, mit dem man sich hier innerhalb einer »Mosaik-Rechten« freundlich bei Whisky und Zigarre im konservativen Altherrenclub über die richtigen politischen Akzente austauscht. Neoliberalismus als politische Strömung kann von jedem Patrioten nur als politisch gegnerisch klassifiziert werden und muss dann auch derart behandelt werden – geht sie nun von jemandem innerhalb oder außerhalb der AfD aus. Prinzipien kommen vor Parteisoldatentum.
Was ist soziale Gerechtigkeit?
Deutlich differenzierter als der zweite neoliberale Aufguss von Facius erscheint einem da schon die sozialliberale Positionierung von Louis Sontheimer, wie sie einem in seinem Artikel »Sozial geht nur liberal« gegenüber tritt. Zwar kann auch die dort letztlich – ohne sie so zu nennen – vorgeschlagene Variante eines »Kapitalismus mit menschlichem Antlitz« nicht als Alternative bezeichnet werden, jedoch liefert der Autor in seinem Text einige durchaus überlegenswerte Diagnosen und Argumente, die sich nicht in reinem Phrasendreschen erschöpfen, sondern mit seriöseren Einwänden aufwarten.
Herr Sontheimer stellt in seinem Artikel, auf meine Replik reagierend, die Frage, was denn »soziale Gerechtigkeit« sei. Recht hat er, wenn er damit andeutet, dass es sich dabei um einen erst einmal diffusen, weil sehr interpretationsanfälligen und ausfüllungsbedürftigen Terminus handelt. Dies allerdings kann nicht bedeuten, dass man ihn deswegen ausblendet – sondern nur, dass man ihn näher erklären muss.
Soziale Gerechtigkeit lässt sich nicht, wie es Sozialliberale gerne tun, auf Chancengleichheit reduzieren. Denn: Chancengleichheit lässt sich staatlicherseits eben aufgrund der oben beschriebenen Eigenheiten gesellschaftlicher Sozialisation niemals in Gänze herstellen. Familien sind unterschiedlich, und daher sind auch die Rahmenbedingungen, in denen Menschen aufwachsen, unterschiedlich – längst nicht nur in finanzieller bzw. ökonomischer Hinsicht (wenn es nur um Geld ginge, wäre die Sache einfacher, aber so ist es eben nicht). Das bedeutet: Da Chancen niemals für alle Menschen gleich sein können, muss der Sozialstaat später immer wieder »ausbessern«, helfen, intervenieren und beraten. Durchaus auch: aktivieren. Aber eben nicht, indem er Leute im Stich lässt, wie Facius das gerne hätte, sondern indem er sie fördert. Und er muss, wenn er soziale Gerechtigkeit herstellen will, noch etwas anderes tun, was selbst Sontheimer Unbehagen bereitet: Er muss umverteilen.
Ist Reichtum »böse«?
Sontheimer schreibt: »Umverteilung ist ein Wort, das ich gar nicht mag, weil es tief in der sozialistischen Weltanschauung fußt. Umverteilung ist das Prinzip, dass Reichtum böse ist und man deshalb den Reichen einen großen Teil ihres Geldes wegnehmen muss, um es den Armen zu geben.«
Hier muss widersprochen werden: Reichtum ist sicherlich nicht »an sich« böse. Generell gilt es moralistische Kategorien wie »gut« und »böse« in sozialpolitischen Debatten lieber zu vermeiden, wenn man nicht in hochemotionales linksgrünes Zeigefingerschwenken abgleiten will. Nötig ist eine nüchterne Betrachtung der bestehenden Verhältnisse. Und stellt man diese an, so ergibt sich die simple Schlussfolgerung, dass ein Großteil des Reichtums von Menschen in Deutschland und anderswo schlicht und einfach nicht durch (eigene) »Leistung« erworben wurde, sondern durch ganz andere Umstände. Das macht deren Reichtum nicht »böse«, es macht ihn aber sozialpolitisch illegitim. Und es legitimiert eine Politik der Umverteilung hin zu jenen, die täglich viel leisten, ohne dafür bisher angemessen entlohnt zu werden oder auch nur die gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten, die ihnen dafür zustünde. Eine Berufsgruppe, auf die dies wesentlich zutrifft, ist etwa die des Gesundheits- und des Sozialwesens.
Sontheimer wendet nun einige Thesen ein, die ich im Folgenden zumindest teilweise zitieren und auf die ich danach eingehen möchte.
Er schreibt: »Die Reichen tragen maßgeblich zu unserer Wirtschaft bei und sorgen damit für Arbeitsplätze als auch dafür, dass neue Unternehmen entstehen. Selbst wenn sie ihr Geld nicht durch eigene Leistung erworben haben und ›nur‹ konsumieren oder investieren unterstützen sie in großem Maße die Wirtschaft.«
Diese Vorstellung kann aus gutem Grunde als Mythos betrachtet werden. Dass neue Unternehmen entstehen, ist weniger eine Leistung »der Reichen« als vielmehr zumeist von mutigen, jungen Leuten, die sich teils unter viel persönlichem Risiko selbstständig machen. Die deutsche Wirtschaft fußt zu einem nicht unerheblichen Anteil auf dem Mittelstand. Mit »den Reichen« hat dieser – der auch noch im positiven Wortsinn aus »Unternehmern« besteht und nicht aus Kapitalisten – nur in beschränktem Maße zu tun.
Zur Frage der Steuergerechtigkeit
Sontheimer weiter:
»Die Steuerlast für Reiche ist in Deutschland bereits sehr hoch. Laut einer Studie des ›Instituts der deutschen Wirtschaft (IW)‹ trägt das reichste Zehntel der Bevölkerung mehr als 50 Prozent der Einkommenssteuer. Wohlbemerkt nur der Einkommenssteuer. Da kommt zum Beispiel noch der Soli dazu und nicht zu vergessen sind die versteckten Steuern, z.B. durch die Umsatzsteuer, von welcher die Reichen natürlich auch mehr zahlen, weil sie in der Regel teurere Sachen kaufen. Da wundert es nicht, wenn sie Steuern hinterziehen oder sich sogar in die Schweiz absetzen. Wenn wir die Steuern noch weiter erhöhen, haben wir bald gar keine Reichen mehr, weil sich selbst die letzten von ihnen ins Ausland absetzen würden. Im Übrigen ist es bestimmt nicht gerecht, wenn man von dem eigens erwirtschafteten Geld über die Hälfte an den Staat zahlen muss.«
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) gilt als arbeitgebernah und wirtschaftsliberal und arbeitet mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) zusammen – der deutschen Denkfabrik für neoliberale Politik schlechthin. Studien aus dieser Ecke sind also, was Steuergerechtigkeit angeht, zunächst einmal nur mit größter Vorsicht zu genießen. Doch selbst wenn man sie für bare Münze nimmt, empfiehlt es sich hier stets – wie eigentlich bei allen wissenschaftlichen Studien – auch auf das zu schauen, worüber sie anscheinend keine Aussagen macht.
Denn wenn man es nun als gesetzt hinnimmt, dass die Steuerlast der Einkommensteuer (wohlgemerkt »nur der Einkommensteuer«, wie Sontheimer selbst sagt) so hoch sei, man aber gleichzeitig ebenso sicher und empirisch unterfüttert sagen kann, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht und eine Handvoll Leute in Deutschland und darüber hinaus über ganze Milliardenvermögen verfügen, dann muss man sich fragen, wie dieser Widerspruch denn dann erklärt werden kann. Und die Erklärung lautet: Es gibt bisher zu viele Wege, sich dieser Steuer zu entziehen – und das Vermögen ist in vielerlei Fällen gar nicht primär auf dem Wege des Einkommens zustande gekommen, sondern etwa über Erbschaft, und zwar inzwischen über viele Generationen, ja teils gar über Jahrhunderte hinweg.
Das – also gerade Sontheimers Gegenargument! – bedeutet mit anderen Worten, dass nicht das Prinzip der Umverteilung falsch ist, sondern dass die Wege, über die dieses Prinzip bisher versucht wurde, ineffektiv sind, und dies vermutlich in vollem Bewusstsein der handelnden Politiker, die viel zu sehr mit den Reichen und Superreichen vernetzt sind, als dass sie den ernsthaften Willen hätten, dies wirklich zu ändern. Konsequenz daraus müsste sein: Endlich Vermögensteuer und Millionärsteuer einführen und die Erbschaftsteuer zum effektiven Umverteilungselement umfunktionieren. Denn: Was hat eigentlich Erbschaft mit »Leistung« zu tun? Ob Herr Facius hierauf eine Antwort hat?
Würde man sich dem Thema so nähern, müssten wir nicht mehr mit den Haus- und Hof-Wissenschaftlern der Arbeitgeber, die im IW sitzen, über Einkommensteuern diskutieren, sondern hätten ganz andere, effizientere Instrumente. Damit müsste dann selbstverständlich auch endlich ein wirkungsvolles Unterbinden von Steuerhinterziehung und Steuerflucht einhergehen, die einen vielleicht nicht »wundern« mögen, die aber dennoch auf das Schärfste zu verurteilen sind – gerade von Patrioten!
Sozial ohne rot zu werden
Sontheimer urteilt: »Der stark rote Anstrich, welchen Florian Sander seiner Partei geben möchte, ist ebenfalls kein Weg für die AfD. Dann würde sie ihr freiheitliches Alleinstellungsmerkmal verlieren und sich kaum von den anderen Parteien unterscheiden.«
Dem soll an dieser Stelle vehement widersprochen werden. Die AfD ist, wie Björn Höcke gern und auch zu Recht proklamieren lässt, »sozial ohne rot zu werden«. Einen sozialen Kurs haben die Linken nicht für sich gepachtet; im Gegenteil – durch ihren Globalismus sabotieren sie diesen eher. Insofern geht es hier nicht um einen »roten«, wohl allerdings um einen sozialistischen Anstrich; dies kann man freimütig zugeben.
Und die AfD würde sich gerade dadurch von anderen Parteien unterscheiden, die sich, die Linke ausgenommen, allesamt im neoliberal-linksliberalen Mainstream bewegen, was sich allein schon daran erkennen lässt, dass sie an den hier beschriebenen Zuständen allesamt nichts verändert, sondern sie eher noch – durch Maßnahmen wie die Agenda 2010, die Hartz-Reform oder ihre Steuerpolitik – verschlimmert haben. Der Freiheitlichkeit der AfD steht dies in keiner Weise entgegen, denn Freiheitlichkeit ist etwas anderes als Liberalismus. Wenn Konservative von Freiheit reden, meinen sie nämlich eben nicht die Freiheit des Marktes oder die der Besserverdienenden, sondern die Freiheit des Volkes. Und die Freiheit, die erst durch die Gewährleistung sozialer Rechte überhaupt entstehen kann, denn wer über keine Mittel verfügt, um sein Leben autonom gestalten und an der Gesellschaft partizipieren zu können, der ist auch nicht frei.
Um diese Freiheitlichkeit, um diese Freiheit geht es. In diesem Sinne lässt sich guten Gewissens postulieren: Freiheitlich geht nur sozial. Und sozial geht nur mit Umverteilung.
(Autor: Florian Sander)