Unser Autor Jörg Dittus hat mit seinem ersten Thesenbeitrag zum Verhältnis zwischen Stadt und Land eine interessante, mitunter hitzig ausgetragene Debatte vom Zaun gebrochen. In seinem zweiten Beitrag dieser unkonventionellen Reihe zur Ökologie widmet Dittus sich nicht weniger kontroversen Fragestellungen. Konsum, Landwirtschaft, Ernährung, Überbevölkerung – Ring frei!
Immer mehr Menschen. Immer höherer Lebensstandard. Immer mehr Konsum. Die konventionelle Landwirtschaft gerät an ihre Grenzen. Ethisch vertretbare, sprich tierwürdige Haltung wird unmöglich – vielmehr: sie ist es bereits. Monokulturen beim Anbau von Kulturpflanzen bedürfen eines hohen Einsatzes meist chemischer Dünger. Wächst die Weltbevölkerung weiter und hebt sich vor allem der Lebensstandard global auf »westliches« Niveau, hat das auch Rückwirkungen auf Europa.
»Küchentisch der Zukunft« oder bäuerliche Subsistenzwirtschaft?
Unsere Steaks beziehen wir aus Südamerika, Garnelen und andere Krustentiere aus Südostasien – was, wenn die Menschen dort sich diese Dinge bald selbst leisten können? Eine Variante ist, sich auf seine Scholle zurückzuziehen und nach bäuerlicher Tradition in Subsistenzwirtschaft ein bescheidenes Leben zu führen. Neben allen, die dieses entbehrungsreiche Leben nicht führen wollen, gibt es noch jene, die es sich nicht leisten können. Grundsätzliche Alternativen müssen her. Wir müssen unser Leben neu denken – unter anderem auch auf dem Küchentisch. Und dort über den sprichwörtlichen Tellerrand ganz real hinausschauen.
Neben der Frage der Ernährung der Zukunft ist die Frage der Energiegewinnung besonders brisant. Unter Umständen können beide Fragen auch in Teilen kombiniert beantwortet werden. Wie werden wir in Zukunft Energie erzeugen? Sind Windenergie und Fotovoltaik eine Alternative zu konventionellen Kraftwerken, seien es nun Gas-, Kohle- oder gar Kernkraftwerke? Hierbei geht es nicht nur um den Klimawandel und eine drohende Erschöpfung der Rohstoffe. Es ist auch völlig unerheblich, ob beide Punkte gar nicht oder erst in ferner Zukunft eintreten werden. Unser Umgang mit Rohstoffen im Besonderen und Natur im Allgemeinen ist mehr als fragwürdig.
Wie werden wir uns in Zukunft ernähren? Reicht eine Umstellung auf »gewöhnliche« Biolandwirtschaft? Wer betreibt diese dann? Finden sich genügend Menschen für ein bäuerliches Leben? Davon abgesehen, dass das Leben auf dem Land dem aktuellen Trend, sich in städtischen Agglomerationen niederzulassen – im Jahre 2030 werden in etwa 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben, Tendenz steigend – widerspricht, ist die Erde derzeit zu dicht besiedelt, um damit eine für alle funktionierende Lösung zu finden. Mit einer nennenswerten Bevölkerungsreduktion ist derzeit nicht zu rechnen, ergo braucht es Szenarien, die der aktuellen Lage entsprechen. Der globale Blick ist deshalb von Nöten, da die Probleme der Welt letztendlich die Migration nach Europa bedingen – um es mal stark verkürzt zu äußern.
Für Energie und Ernährung ist hohe Dichte von Vorteil, da der Transport dann wegfällt. Wenn Produktion und Konsumation möglichst kongruent sind, hat dies viele positive Auswirkungen. Weniger Flächenverbrauch für Infrastruktur (Straßen- und Stromnetz) sowie Frische der Produkte sind nur zwei davon. Die Stadt als Organisationsform menschlichen Lebens ist deshalb dem Leben im Grünen vorzuziehen (siehe auch erster Beitrag zu Arkologien).
Algenreaktoren als Energielieferant der Zukunft
Algen sind mit die ältesten Lebensformen auf diesem Planeten. Kann es uns gelingen, mit der ältesten Vergangenheit in die neueste Zukunft zu starten? Aus Algen können Nahrungsmittel gewonnen werden. Der Algensalat beim Sushi zum Beispiel ist nur eines von vielen für den schmackhaften Einsatz von Makroalgen in der Küche. In Form von Nahrungsergänzung finden Mikroalgen Verwendung. Sie enthalten unter anderem Mineralstoffe, Spurenelemente, Kohlenhydrate, ungesättigte Fettsäuren und Beta-Carotine.
Des Weiteren können bestimmte Algen zur Wasserstofferzeugung genutzt werden. Ebenso sind sie sehr einfach genetisch veränderbar, womit in mittlerer Zukunft auch die Erzeugung weiterer Stoffe und Substanzen auf diesem Wege möglich sein wird. Denkbar sind Algenreaktoren – koppelbare Paneele, die in Rohrleitungen eine Nährlösung transportieren –, in welchen verschiedene Algenkulturen gezüchtet werden. Diese kommen im städtischen Bereich zum Einsatz und produzieren so Wasserstoff als Energieträger und Mikroalgen als Basis für Nahrungsmittel. Die Ernte kann dezentral verarbeitet und genutzt werden. Ein weiterer Transport im großen Maßstab entfällt.
Die anfallende Biomasse könnte überdies zur Gewinnung von Biodiesel herangezogen werden. Hier kommt der derzeit schon in Verwendung befindliche Prozess der Biomassevergärung zum Einsatz. Gleichzeitig wandeln die Algenkulturen CO2durch Fotosynthese unter anderem in Sauerstoff. Die Algenkulturen können also zur Reinigung der Luft genutzt werden. Darüber hinaus können bestimmte Algenkulturen auch bei der Renaturierung von Industriebrachen behilflich sein, da sie in der Lage sind, Schwermetalle, Rückstände chemischer Düngemittel sowie andere Giftstoffe zu binden.
Mehlwürmer, Wanderheuschrecken oder Heimchen: Eiweiß!
Die Weltbevölkerung wächst, der Lebensstandard steigt – und damit der Fleischkonsum. Immer mehr an landwirtschaftlicher Fläche wird für die Viehhaltung genutzt. Direkt als Weide- und/oder Stallfläche und indirekt für die Futtererzeugung. Vegetarische bis vegane Alternativen, vor allem Sojaprodukte, bedürfen zwar weniger Fläche, aber dennoch Fläche. Nicht selten werden für die Nahrungsmittelproduktion Waldflächen gerodet, insbesondere die Regenwälder Südamerikas und ihre fragilen Ökosysteme sind hierbei ein unwiederbringlicher Verlust an Vielfalt.
Eine tatsächliche Alternative für die Zuführung (tierischen) Eiweißes stellt der Verzehr von Insekten dar. Schon heute ernähren sich weltweit über zwei Milliarden Menschen von den schmackhaften Krabblern. Die Zucht von Insekten verbraucht weniger Wasser, weniger Futter und auch weniger Platz. Schon im kleinen Maßstab können zum Beispiel Mehlwürmer, Wanderheuschrecken oder Heimchen gezüchtet werden. Damit ist eine dezentralere Eiweißproduktion möglich, als dies bei Rind, Schwein oder auch Huhn der Fall ist. Außerdem sind statt rund 50 Prozent bis zu 90 Prozent der Tiere verwertbar.
Es wird Zeit, dass die Neue Rechte, will sie ihrem Attribut »neu« gerecht werden, endlich alle – insbesondere die konservativen – Scheuklappen ablegt und ohne Vorbehalte zu denken wagt. Geistige Reflexe müssen abgelegt werden, wollen wir den Menschen um uns einen Weg aufzeigen, die Zukunft meistern zu können. Verkriechen wir uns nicht in die ländliche Einöde und überlassen die Stadt linken Denkern und zeitgeistigen Zukunftsforschern. Die menschliche Zukunft wird eine urbane sein, ob wir dies wollen oder nicht – es liegt an uns, sie »von rechts« zu gestalten. Gehen wir’s an!
(Autor: Jörg Dittus)