In Deutschland wird dieser Tage viel diskutiert – zumindest rechts der vermeintlichen politischen Mitte. Spätestens seit den Vorstößen von Robert Habeck und Kevin Kühnert sind dabei auch der Sozialismus bzw. die »Soziale Frage« wieder in den Fokus gerückt. Wir haben mit Dr. Dr. Thor v. Waldstein über »linke Leute von rechts«, den geistigen Zustand der Linken sowie Sozialismus und Nation gesprochen.
Sehr geehrter Herr Dr. v. Waldstein, Sie haben die Vorrede zu unserem neuen Buch Sozialismus und Nation verfasst. Hermann Heller, der Autor, veröffentlichte dieses Buch 1925. Auf Twitter & Co. wird nun von diesem oder jenem gewitzelt, dass das Vertauschen zweier Wörter noch nicht vom Verdacht des Nationalsozialismus befreie. Daher, zu Beginn, ganz infantil gefragt: Was scheidet die Gedankenwelt Hermann Hellers von den organisierten Nationalsozialisten seiner Zeit?
Diesen Zwitscher-Humoresken, von denen Sie berichten, fehlt es leider an jeglicher ideengeschichtlicher Bodenhaftung. Angesichts des persönlichen Schicksals von Hermann Heller sind sie auch nicht wirklich komisch. Wer sich näher mit seinem Werk befasst, kann über eine solche reductio ad Hitlerum (Leo Strauss) nur den Kopf schütteln. Heller hat die nach-Gobineauschen Rasselehren scharf abgelehnt; den deutschen Nationalsozialismus bezeichnete er 1929, dreieinhalb Jahre vor seiner Emigration, als »ein zusammenhangloses Gemisch von Houston Stewart Chamberlain, Silvio Gsell, Moeller van den Bruck, Damaschke, Rathenau und Mussolini«.
Wer glaubt, Hellers nationaler Sozialismus habe irgendetwas zu tun mit dem Nationalsozialismus, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten. Wer aber keine Ahnung und/oder die reeducation-Angstschweißperlen auf der Stirn hat, sollte vielleicht erst einmal an sich selbst arbeiten. Für Leser, die ohne die Scheuklappen der BRD-Zwangskonsensmythen auskommen, sind solche verurteilungssüchtigen Pseudo-Gleichnisse ohne jeglichen Wert. Wer die Mühen nicht scheut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, entdeckt im Hellerschen oeuvre eine erstaunlich frisch wirkende politische Ideenwelt, die wir noch bitter notwendig haben werden, wenn die Mauer der westlichen Lebenslügen fällt.
Der Begriff der »Nation« ist in der rechten Gedankenwelt nicht sonderlich umstritten, selbst biedere Konservative finden hier Anschluss. Anders verhält es sich hingegen mit dem »Sozialismus«. In Ihrer Vorrede beschreiben Sie recht ausführlich, was Heller unter diesem Begriff versteht. Können Sie Hellers Sozialismusvorstellungen kurz zusammenfassen?
Hellers wesentliche Leistung besteht darin, dass er den Irrweg einer deutschen Sozialdemokratie bekämpfte, die sich nach Lassalles frühem Tod im Jahr 1864 nach und nach einem internationalistisch geprägten Marxismus ergeben hatte. Der spaltenden Marxschen Klassengesellschaft setzte er ein politisches Ideal entgegen, bei dem Nation und Sozialismus versöhnt werden:
»Die Nation ist eine endgültige Lebensform, die durch den Sozialismus weder beseitigt werden kann noch beseitigt werden soll. Sozialismus bedeutet keineswegs das Ende, sondern die Vollendung der nationalen Gemeinschaft, nicht die Vernichtung der nationalen Volksgemeinschaft durch die Klasse, sondern die Vernichtung der Klasse durch eine wahrhaft nationale Volksgemeinschaft.«
In der Tradition von Romantik und Idealismus stehend, lehnt Heller den homo oeconomicus des Liberalismus und dessen ich-fixiertes, auf nackten Nützlichkeitserwägungen basierendes Weltbild kategorisch ab:
»Der Sozialismus kämpft deshalb gegen den Geist der kalten Rechenhaftigkeit, der die heutigen Gegenseitigkeitsbeziehungen völlig beherrscht. Der Sozialismus ist der Ausdruck der tiefen, im Menschengeschlecht nie ersterbenden Sehnsucht nach Verinnerlichung des Verhältnisses von Mensch zu Mensch; er ist im letzten der Wunsch nach Umgestaltung der äußeren Gesellschaft in innere Gemeinschaft.«
Darüber hinausgehend wird der Begriff des Sozialismus bei Heller nicht näher definiert; an vielen Stellen seines Werkes bleibt i.ü. schemenhaft, was er konkret darunter versteht. Das kann man bei einem Staatsrechtslehrer, der mehr zu leisten hat als politische Alltagsrhetorik, sicherlich kritisieren. Andererseits hat er in seiner brillanten, 1934 aus dem Nachlass herausgegebenen Staatslehre, in der der Begriff des Sozialismus nur noch am Rande behandelt wird, äußerst präzise beschrieben, unter welchen Bedingungen er sich die staatliche Einheit der Deutschen vorstellt.
Der entscheidende Unterschied, der rechts und links in der Frage nach dem Sozialismus trennt, ist also die Nation; noch konkreter: das ethnisch weitgehend homogene Volk als Träger der sozialen Gemeinschaft. Auch Heller knüpft hier an. Seine Mitgliedschaft in der SPD dürfte den ein oder anderen Leser hellhörig machen, wenn es um die Frage nach dem Volk, der Homogenität und auch dem (kommunistischen) Internationalismus geht. Denken Sie, Heller lässt sich überhaupt im klassischen Rechts-links-Schema verorten? Halten Sie dieses Schema dieser Tage noch für sinnvoll?
Für die SPD, in deren Programm das deutsche Volk nicht mehr vorkommt und die sich heute moralisch aufgeblasenen Welt-, Klima- und Menschheitsrettungswahnideologien ergeben hat, ist Heller nur noch peinlich; oder, wenn Sie so wollen: eine Art Sarrazin avant la lettre. Deswegen werden seine Person und sein Werk bei den GenossInnen sorgsam beschwiegen. Dem toten Heller ist das sicher recht, denn dessen Neigung, den deutschfeindlichen Multikultigurus im Willy-Brandt-Haus als Ahnherr zu dienen, dürfte gegen Null tendieren. Tatsächlich war und ist die (west-)deutsche Linke spätestens seit dem Tod Kurt Schumachers im Jahr 1952 nie etwas anderes als »ein Strategem der Besatzungsmächte zur Niederhaltung des deutschen Volkes« (Hans-Dietrich Sander).
Gegenwärtig leben wir in einem freizeitentfesselten Interregnum, in dem die soziologische Größe »Arbeiter« nur mehr eine aussterbende Spezies und die Metamorphose der Arbeiterbewegung zur get together party ortloser Intellektueller abgeschlossen zu sein scheint. In einem solchen, dem Volk entfremdeten Mikroklima hätte ein Mann wie Hermann Heller keine Luft zum Atmen.
Neben den wichtigen Kriterien der Abstammung und der Landschaft versinnbildlicht sich die von Ihnen angesprochene Homogenität eines Volkes für Heller in einem »sozial-psychologischen Zustand, in welchem die stets vorhandenen Gegensätzlichkeiten und Interessenkämpfe gebunden erscheinen durch ein Wirbewußtsein und -gefühl, durch einen sich aktualisierenden Gemeinschaftswillen.« Natürlich verkennt Heller nicht, dass darüber hinaus noch weitere Merkmale wie Sprache, Kultur, Religion und ein gemeinsam erlebtes/erlittenes historisches Schicksal den Teppich bilden, zu dem ein Volk gewebt ist.
Überhaupt ist Heller, vergleicht man ihn mit anderen Staatslehrern der Weimarer Zeit wie etwa Carl Schmitt oder Rudolf Smend, der soziologischste Kopf von allen, derjenige, der am meisten die gesellschaftliche Realität berücksichtigt, auf die Staatsrecht aufbaut, ohne sie selbst herangebildet zu haben. Vielleicht kann man Heller – spiegelbildlich zu den »linken Leuten von rechts« wie z.B. Ernst Niekisch – zu den »rechten Leuten von links« zählen. Ob uns solche Schubladisierungen weiter bringen, wage ich indes zu bezweifeln. Für meine Begriffe ist diese Hellersche Art, politisch zu denken, tatsächlich weder links noch rechts.
Ohnehin scheint mir die klassische Rechts-links-Dialektik in Zeiten der Migrationsherausforderung und der Genderparanoia wenig brauchbar. Ich würde demgegenüber die politischen Programme/Parteien/Personen lieber danach sortieren, wer das (eigene) Volk erhalten (Volksverteidiger) und wer es abschaffen (Volkszerstörer) will. Und Volksabschaffer müssen konsequent bekämpft werden, gleichviel, ob sie sich im (wirtschaftlich-»rechten«) Davos oder auf einem (ideologisch-»linken«) GRÜNEN-Parteitag zusammenrotten.
Wenn wir die Gegenwart betrachten, finden wir sowohl die Sozialdemokratie als auch das linke Spektrum in einem bemitleidenswerten geistigen Zustand vor. Nur wenige Gruppen, etwa der maoistische »Jugendwiderstand«, beziehen sich positiv auf Volk und Nation. Könnte der Verlust dieser beiden Begriffe bei gleichzeitiger Hinwendung zu marginalen revolutionären Subjekten hierfür ausschlaggebend sein?
Mein Mitleid mit Politfiguren, die das Land meiner Väter und meiner Kinder, das Land, dem ich – seelisch, geistig, aber auch wirtschaftlich – alles verdanke, bis zur Unkenntlichkeit ruiniert haben, hält sich offen gesagt in engen Grenzen. Dass die geistige Attraktionskraft der Linken derzeit im Schwinden begriffen ist, empfinde ich als den erfreulichen Anfang eines sich hoffentlich noch stärker entladenden, reinigenden Gewitters. Ich habe schon als Sechzehnjähriger nie verstanden, wie man einem Menschenbild anhängen kann, das mit der anthropologischen Wirklichkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.
Da ich meine Jugend nicht vor dem Bildschirm, sondern in der freien Natur und vor Aquarien und Terrarien verbracht habe, wusste ich schon früh, dass Aggression ebenso wie Liebe zu der unwandelbaren Natur aller Lebewesen gehört. Als begeisterter Leser der Bücher von Konrad Lorenz und Irenäus Eibl-Eibesfeldt war mir auch das übrige sozialbiologische Einmaleins früh vertraut. Schon von daher konnte ich über das Kollektivmensch-Weltbild des Kommunismus – ebenso wie über die Einzelmensch-Ideologie des Liberalismus – nur den Kopf schütteln. Der Siegeszug der lebensfremden marxistischen Ideologie war mir vor diesem Hintergrund anfänglich ein vollständiges Rätsel; später habe ich dann gelernt, dass dieser Triumph des linken Ideenkosmos wenig mit individueller Überzeugungskraft und viel mit intelligent bedienten massenpsychologischen Instrumentarien zu tun hatte.
Volk und Nation sind heute auf der Linken nicht mehr nur verwaistes Ideenterrain, sondern haben sich nach meiner Beobachtung zu regelrechten Feindbildern gemausert. Das Schicksal der Globalisierungsverlierer ist der Linken schlicht egal. Sie hat das Volk aufgegeben und sich mit den Liberalindividualisten ins flauschige Bett gelegt. Eingehüllt in Worthülsen, bei denen sich Dümmlichkeit bisweilen mit subkutanen Beseitigungsphantasien paart (»Menschenrechte statt rechte Menschen«), verfrühstückt man dort einträchtig die noch verbliebenen Reste deutscher Substanz.
Diese Mesalliance der Linken mit den Davosmenschen und ihrem geldfixierten Individualismus hat indes einen hohen politischen Preis: den Verlust des Vertretungsanspruchs für diejenigen, die einem elementaren ökonomischen Existenzkampf ausgesetzt sind, die der »Unterm-Strich-zähl-ich«-Gesellschaft des Westens den Rücken zugewendet haben und die nach neuen Wegen einer Gemeinschaftsorientierung für Familie, Volk und Staat suchen. Diese neue Gegensätzlichkeit zwischen den anywhere-Nomaden mit ihren tragbaren Identitäten und den somewhere-Sesshaften mit ihrer Verwurzelung in der Heimat (David Goodhart) ist im Sinne der Klarierung der Fronten auch durchaus begrüßenswert; denn in dem Maße wie der Hass auf das Eigene immer offensichtlicher wird, wächst auch – ganz im Hölderlinschen Sinne – die Kraft, das Eigene zu verteidigen.
Heutige Linke werden Heller vorwerfen, kein echter Sozialist zu sein. Denn er plädierte zwar durchaus für den Klassenkampf, wollte diesen aber als Kampf in die Nation hinein verstanden wissen. Das klingt für oberflächliche Leser natürlich nach Versöhnung mit der Bourgeoisie, gar Verrat des Klassenkampfes. Wie bewerten Sie Hellers Bemühungen und diesen gleichzeitigen Vorwurf?
Ihrer Einschätzung, wonach Heller für den Klassenkampf plädiert habe, würde ich gerne widersprechen. Ausweislich des oben zuerst wiedergegebenen Zitats ging es Heller tatsächlich um die vollständige Vernichtung des Marxschen Klassendenkens und um die Errichtung einer Gemeinschaft des Volkes, in der der Blick aufs Ganze und eben nicht der Tunnelblick auf the greatest happiness of the greatest number (Jeremy Bentham) entscheidet. In der westextremistischen BRD wird ein solches Denken üblicherweise unter dem denunziatorisch verwendeten Begriff des sog. »völkischen Kollektivismus« rubriziert. Das Bundesverfassungsgericht geht in seiner neueren Rechtsprechung darüber noch hinaus und will in dem traditionellen Volksbegriff, der sich an ethnischen Kategorien orientiert und der über ein halbes Jahrhundert (1949–1999) geltender BRD-Gesetzeslage entsprach, sogar eine Verletzung der Menschenwürde sehen.
Über solche ideengeschichtlichen, aber auch juristischen Bocksprünge würde Heller nur lachen. Denn die Freiheit und die Würde eines Volkes hängen – das wissen wir spätestens seit Schiller – ganz maßgeblich davon ab, ob dieses Volk über selbstbewusste, geistig freie und zur Tat bereite Individuen verfügt, die gerade nicht in einem fischschwarmähnlichen Kollektivismus gefangen sind. Das stolze Leben und das tragische Sterben Hermann Hellers fern der von ihm geliebten Heimat sind dafür ein Musterbeispiel.
Kommen wir zu den Rechten. Und damit sind wir am vielleicht entscheidenden Punkt dieses Interviews angekommen. Sie schreiben in Ihrer Vorrede, die politische Rechte hätte nur eine Zukunft, wenn sie an den nicht-marxistischen deutschen Sozialismus vor 1933 anknüpft. Die deutsche Rechte ist von einer sozialen, gar sozialistischen Orientierung jedoch weit entfernt. Wie erklären Sie sich die moderne rechte Angst vor dem Sozialismus?
Das Paradoxon der Rechten bestand seit jeher darin, die Beseitigung des politischen (Links-)Liberalismus anzustreben, um im gleichen Atemzug den Wirtschaftsliberalismus und eben auch den Kapitalismus gegen Angriffe von links zu verteidigen. Dieser wenig vorteilhafte Spagat hat sich aus meiner Sicht durch das Anwachsen der libertären Bewegung in Deutschland eher noch verschärft. Die berechtigte Kritik, die man dort an der modernen Staatskrake übt, die sich in alle Lebensbereiche des Volkes einmischt, wollen die Libertären in die Konsequenz münden lassen, dass der Staat als solcher abgelöst und durch eine vertragsbestimmte Privatrechtsgesellschaft ersetzt werden soll. Das Extrem der Hegelschen Staatsvergötterung soll also ersetzt werden durch das Extrem der Hayekschen Staatsverteufelung.
Eine intelligente Rechte, die Erfolg haben will, ist aus meiner Sicht gut beraten, zwischen diesen Extremen den goldenen Mittelweg zu wählen. Also: soviel Subsidiarität des Staates und Eigenverantwortung des einzelnen für sein Schicksal und das seiner Familie wie möglich und soviel staatliche Ordnungsgarantie und soziale Fürsorge für die Bedürftigen des eigenen Volkes wie nötig. Vielleicht sollte die Rechte i.ü. erst einmal die Begrifflichkeiten klarstellen. Denn nach meiner Erfahrung sind gerade Begriffe wie Kapitalismus oder Sozialismus in besonderer Weise für Missverständnisse prädestiniert.
Oberflächliche Betrachter der rechten Ideenwelt verfallen häufig dem Irrtum, eine Kritik an dem vagabundierenden Finanzkapitalismus, der den Globus abgrast, die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört und den Menschen als Instrument der Geldherrschaft missbraucht, sei gleichbedeutend mit einem Kampf gegen die soziale Marktwirtschaft, gegen das Leistungsprinzip, gegen das Gesetz von Angebot und Nachfrage, etc. In spiegelbildlicher Weise setzt sich, wer – angesichts seiner Forderung nach einer Volkswirtschaft, die sich an dem bonum commune und eben nicht an dem Adam Smithschen ökonomischen Einzelinteresse orientiert – mit dem Begriff des Sozialismus nicht nur negative Konnotationen verbindet, dem Verdacht aus, im Geheimen wilden Enteignungsphantasien oder neidgesteuerten Umverteilungsexzessen zuzuneigen. Bevor man weitersegelt, sollte also auf dem Theorieschiff der Rechten zuvor unbedingt begrifflich Ordnung geschaffen werden.
Aufmerksame linke Beobachter der jüngsten rechten Theoriebildung, etwa Sebastian Friedrich, halten einen »Linksruck« der Rechten für unwahrscheinlich. Denn der Kapitalismus sei, vereinfacht gesprochen, in der DNA der rechten Theorie angelegt. Sie deuten etwas Ähnliches in Ihrer Vorrede an. Gleichzeitig werfen wir den Linken vor, heute Erfüllungsgehilfen bzw. harmlose Sparringspartner des Kapitals zu sein. Wie steht es denn, vor allem in dieser Frage, um die Positionen der jeweiligen Akteure und Lager?
Einen »Linksruck« der Rechten brauchen wir nicht; was Not tut, ist ein Rechtsruck der Kapitalismuskritik. Dafür ist heute der ideale Zeitpunkt: die gegenwärtige deutsche Linke, die ihre politischen Ideale ganz überwiegend verraten hat, um mit an den Fleischtrögen des Geldadels schlabbern zu dürfen, ist für eine solche Kritik gründlich desavouiert. Dagegen verfügt die nicht-marxistische deutsche Geistesgeschichte über glänzende Köpfe, die schon vor langer Zeit präzise den Finger in die offenen Wunden des Kapitalismus gelegt hat. Ich nenne nur Namen wie Hans Freyer, Max Scheler, Werner Sombart, Ernst Troeltsch und Max Weber. Würden die Rechten – anstatt sich von dem Fast Food Reading des Internets ständig den Magen zu verderben – mehr zu dem Schwarzbrot der politischen Theorie greifen, dann wäre ihnen die Gedankenwelt dieser Autoren nicht so fremd.
Schon vor hundert Jahren geißelte Max Weber jene »entzauberte Welt« des Kapitalismus, in der außer Produktion und Konsumtion nichts mehr heilig ist und in der »Fachmenschen ohne Geist« und »Genußmenschen ohne Herz« sich einbilden, »eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben.« Und Werner Sombart ergänzte:
»Alle Lebenswerte sind dem Moloch der Arbeit geopfert, alle Regungen des Geistes und des Herzens dem einen Interesse: dem Geschäft zum Opfer gebracht.«
Diese Kritik an der Desperado-Existenz der »anglo-amerikanischen Normalameise« (Stefan George), an dem »erkalteten Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts« (Karl Wolfskehl), ist alles andere als verstaubt. Das seelische Elend und die innere Vereinsamung des modernen Industrienomaden, der dem Volk und in vielen Fällen auch der Familie entfremdet wurde, hat sich gerade im ersten Fünftel des 21. Jahrhunderts noch einmal gewaltig gesteigert. Nur ahistorisch denkende Narren können sich der Illusion hingeben, dass ein solch widernatürliches, den Erdball verwüstendes System unendlich währt.
Aus meiner Sicht spricht derzeit wenig dafür, dass der weltumspannende Finanzkapitalismus analog dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus weitgehend geräuschlos implodieren wird; vieles deutet darauf hin, dass uns die Säulen des westlichen Geldtempels äußerst explosiv um die Ohren fliegen könnten.
Abschließend möchte ich Sie nach Ihrem Verhältnis zur Jugend befragen. Einige junge Rechte schicken sich derzeit an, die Grundpfeiler der »Neuen Rechten« zu hinterfragen und nach ganz neuen Synthesen zu suchen. Dabei wird mitunter viel Porzellan zerbrochen. Was ist Ihre Empfehlung? Was ist erlaubt und notwendig?
Knut Hamsun, der viele Jahre zur See gefahren ist, hat die Jugend einmal bezeichnet als die vom Leben neu angeheuerte Mannschaft. Das Problem der BRD mit ihrer seit fast einem halben Jahrhundert bestehenden chronischen Unterjüngung und ihrem beständig wachsenden old age bulge ist, dass an Bord der Rollatorrepublik immer weniger Junge anheuern. Macht man sich weiter klar, dass auf dem parlamentarischen Weg keine Politik gegen bald 22 Millionen wahlberechtigte Rentner durchgesetzt werden kann, hat es den Anschein, als ob der Irrweg in das Nirwana der Seniorendiktatur unaufhaltsam sei.
Das ist aber nur die eine, die zahlenbestimmte Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille sagt uns, dass es in der Geschichte stets Minderheiten waren und sein werden, die die Zukunft der Mehrheit bestimmen. Und naturgemäß kommt der rebellischen Jugend innerhalb solcher Minderheiten eine wesentliche Rolle zu. Was die politische Rechte in Deutschland angeht, ist mein Urteil über die Jugend übrigens ganz überwiegend positiv. In den vierzig Jahren, in denen ich intra muros das Geschehen beobachte, hat es jedenfalls noch kaum eine junge Generation auf der Rechten gegeben, die so klug und zielstrebig handelt wie die jetzige.
Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang die – v.a. der jungen Rechten zu verdankende – Tatsache, dass die elektronische Gegenöffentlichkeit die »Kommunikationsvermeidungskommunikation« (Niklas Luhmann) des Establishments mehr und mehr durchlöchert hat. Bisweilen hat es den Anschein, als sei das Internet zwischenzeitlich zu einem wahren Angstraum für die (noch) herrschenden Multikulturalisten geworden ist. Je bedrohlicher die äußere Situation wird, desto erfreulicher erscheinen mir die jungen Köpfe, die sich dem für unser Volk vorgesehenen Abschiedsszenario entgegen stellen, wahrlich eine bizarre soziologische Schubumkehr!
Bei der Neujustierung der inhaltlichen Ausrichtung wird man – trotz des schönen, weil versöhnenden Begriffs der »Mosaik-Rechten« – um Klärungsprozesse und das Abschneiden überlebter Zöpfe nicht herumkommen. Porzellan wird dabei v.a. dann nicht zerbrochen, wenn man die Diskussion nach dem bewährten römischen Motto fortiter in re, suaviter in modo führt und dabei insbesondere persönliche Anfeindungen unter allen Umständen vermeidet. Dazu ist m.E. auch ein Heraustreten aus der Anonymität des Internets erforderlich; denn nur wer sein Gesicht zeigt und mit seinem Namen die von ihm postulierten Inhalte verantwortet, kann Gestaltungsanspruch erheben.
Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang erinnern an die von mir in den vergangenen Jahren betreffend das Thema Islam mit so herausragenden Publizisten wie Manfred Kleine-Hartlage und Siegfried Gerlich geführten Debatten. Obwohl die inhaltliche Auseinandersetzung kaum hätte kontroverser sein können, änderte dies nichts an dem von gegenseitiger Wertschätzung geprägten Umgangston, in dem diese Diskussionen jeweils geführt wurden. Bei vielen Bloggern vermisse ich diese zwischenmenschlich gebotene Höflichkeit: »Takt ist der ewig wahre Respekt vor der anderen Seele und damit die erste und letzte Tugend des menschlichen Herzens« (Helmuth Plessner). Trotz aller erstaunlichen Umbrüche in den vergangenen vier Jahren sind wir immer noch viel zu wenige, als dass wir uns unsinnige, nur negative Energien freisetzende, persönliche Grabenkämpfe o.ä., leider eine traurige »Spezialität« der Deutschen in politicis, leisten könnten.
Der berechtigte Zorn und die – hoffentlich wachsende – Unversöhnlichkeit müssen sich statt dessen gegen diejenigen richten, die es zu verantworten haben, dass Deutschland und Europa heute am Abgrund stehen.
Auf dem Theorieschiff der Konservativen in der BRD herrscht meistens eine schläfrige Stimmung. Die vielen Beschwichtigungskonservativen sind noch nicht richtig wach.
Schade, dass es Herr v. Waldstein zum wiederholten Mal nicht gelingt, die einfache, „plumpe“ Sprache seines Volkes zu sprechen.
„Plump“ und „einfach“: äußerst gegensätzlich !
Das Einfache faltet aus.
Das Plumpe ist das Eingestampfte und stampft ein.
Thor von Waldstein spricht eine wunderbar einfache Sprache.
Stabil!! Ich finde die Gedanken sinnvoll für die politische Rechte!