Die nachfolgende, sehr persönliche Rezension verfasste der französische Schriftsteller und Veteran Jean Mabire im November des Jahres 1994. Nur wenige Monate zuvor veröffentlichte Dominique Venner die französische Erstausgabe von Le Cœur rebelle. Im Juni diesen Jahres erscheint im Jungeuropa Verlag die deutsche Erstausgabe unter dem Titel Das rebellische Herz.
Seine alten Freunde nannten ihn nur »Dom«. Er hat stets den Begriff des »Freundes« jenem des »Kameraden« vorgezogen. Sicherlich eine Generationenfrage. Es ist verrückt, wie sehr einige Jahre die Menschen voneinander trennen können – was aber kein Hindernis dafür ist, sich eines Tages im gleichen Klan wiederzufinden.
Als ich sein kleines Buch bekam – zweihundert Seiten, die man in einem Stück durchliest – dachte ich zugleich, der Verleger habe, vermutlich unbewusst, jenes Feingefühl respektiert, das im Verborgenen lag und von dem die ihm Nahestehenden wussten: unter dem grellen »Umschlag« verbarg sich der wahre Einband, wunderschön, mit einer tragischen Zeichnung von Paul A. Weber versehen. Ebenso entdeckt man bei Venner hinter dem Aktivisten, dem Kampfeslustigen, dem Scharfmacher, als den ihn die meisten Leute betrachten, einen geheimnisvollen, ästhetischen und genussbereiten Mann.
Es gibt bei ihm, das ist bekannt, teutonische und landsknechtliche Elemente. Mit einem aus der Tiefe stürmischer Zeiten kommenden Hang zum kalten Stahl eines guten Schwertes, zweischneidig und mit beiden Händen zu führen.
Aber auch die Wälder, die Sonne, die Fanfaren, die Damen. Man stellt ihn sich germanisch vor und entdeckt plötzlich eine fröhliche französische Art an ihm: die Trommeln und Pfeifen der Royal-Picardie, die Säbeltasche in der man die Vorposten der leichten Kavallerie von General de Brack aufbewahrt, um sie abends im Biwak zu lesen, zwischen Reiten und Gelage.
Da er sein Buch in der ersten Person Singular geschrieben hat, was er eigentlich nicht mag, erscheint es mir unvermeidlich, dieser Chronik einen persönlichen Ton zu geben, der sicherlich mehr Verbundenheit als Kritik zum Ausdruck bringt, der aber manchmal eine gewisse Distanz in sich trägt. Dies ist ein Wort, das er ebenso mag wie ich. Es gehört im Übrigen in das Vokabular des Militärs. Wenn die Männer auf dem Gelände zu dicht zusammengeschart stehen, ein zu leichtes Ziel für eine Maschinengewehrsalve oder einen gut gezielten Mörserwurf, ruft man ihnen zu:
»Distanz halten, Distanz!«
Das verhindert nicht die Kameradschaft, macht aber den Sanitätern weniger Arbeit.
Wir haben uns letzten Endes sehr spät kennengelernt, auch wenn sein Name mir nicht unbekannt war. Gemeinsame Freunde hatten mir viel Gutes über die Anfang 1963 gegründete Europe Action und über dessen jungen Leiter erzählt. Ich schrieb zu der Zeit im Esprit publique. Meine Freunde waren Leute in meinem Alter oder etwas älter: vor allen anderen Philippe Héduy und Paul Sérant.
Ich habe Dominique Venner erst im Frühjahr 1965 kennengelernt. Sofort wurde er »Dom« und sehr schnell duzten wir uns. Er war gerade dreißig geworden, das schönste Alter. Ich war achtunddreißig und ging schon auf die vierzig zu.
Etwas weniger als ein Jahrzehnt lag zwischen uns. Man könnte ebenso gut sagen: ein Jahrhundert. 1940 war ich dreizehn Jahre alt gewesen. Die Niederlage hat mich mit glühendem Eisen gebrandmarkt. Damals war er gerade fünf Jahre alt, ein Kind, das nicht einmal lesen konnte…
Die Zeit war vergangen. Wir waren »alte Kämpfer« geworden. Seltsamerweise haben wir niemals über Algerien gesprochen. Ich erfuhr erst später, viel später, dass wir beide zum Truppenteil der Blau-Gelben gehört hatten, den ehemaligen Jägern, er im 4. »Rapied« und ich im 12. »Ralpin«.
Der »alte« Capitaine und der junge Sergent
Erst mit diesem Buch habe ich entdeckt, wie unterschiedlich wir beeindruckt wurden, so sehr, dass ich mich frage, ob uns das gleiche Erlebnis widerfahren ist.
Der Vorteil des Krieges ist, dass er meistens auf dem Land stattfindet. Das heißt: die Kulisse zählt. Es gibt kaum Gemeinsamkeiten zwischen der steinigen und nackten Landschaft des Aurès mit seinen kahlen Weiten, und dem Wildschwein-Dickicht, dem Buschwald zu beiden Seiten der tunesischen Grenze, von dessen Höhen man das Meer überblickt.
Mehr noch. In diesem kleinen Buch, wunderbar geschrieben im Ton eines atemlosen Bekenntnis’, der nichts zu tun hat mit der Schwülstigkeit und der Künstlichkeit von Memoiren, erscheint eine gewisse Anzahl ideologischer Nuancen, die zweifellos in Algerien gegen Ende des Jahres 1954 im Umlauf waren, und die fünf Jahre später verschwunden waren.
Der junge Sergent Dominique Venner hat den Anfang dieses Krieges erlebt (um mit der politisch korrekten Sprache zu sprechen: »der Ereignisse«). Das erinnert mich an das, was André Malraux die »lyrische Illusion« nannte, als er in Die Hoffnung die ersten Feuer des Krieges in Spanien beschrieb.
Ein Krieger, ohne Vorbehalte, aber nicht ohne Hingabe, mit siebzehn Jahren als Freiwilliger gemeldet, um in der Armee zu dienen, deren rauhe, nietzscheanische Schule er in Rouffach kennenlernen sollte, mit der elementaren Gewissheit, dass er sich auf die bedeutendste Weise für seine Landsleute einsetzen würde, Blutsbrüder, die von einer wilden Rebellion angegriffen wurden – die römischen Centurien hätten von Barbaren gesprochen.
Im Grunde kümmerte er sich nur um den Kampf und wenig um die Politik. Erst später konnte er sich für letztere begeistern. Er ist frei, unverbraucht, tapfer, in einem Wort, jugendlich (das Wort jugendlich bedeutet 1954 sicher nicht das gleiche wie 1994. Doch man müsste Prähistoriker sein, um das zu wissen). Alles erschien sehr einfach.
In der gefährlichsten Aktion
Ich kam 1958 an, im Laufschritt des 13. Mai und seiner gaullistischen Vereinnahmung. Als einberufener Offizier. Alter Leutnant von beinahe zweiunddreißig Jahren, bald Capitaine.
Niemals schien der – militärische – Sieg so nah zu sein. Doch niemals würde ich den wagemutigen und erfinderischen Enthusiasmus einiger junger Kader einer Armee kennenlernen, die von Allerheiligen 1954 überrascht wurde.
Und dann befand sich Venner unter Europäern, wie man damals sagte. In meinem Jagdkommando gab es auf sechzig Jäger mehr als vierzig Moslems. Sämtliche Harkas!
Wir waren natürlich viel politisierter. Seit unserer Ankunft in Philippeville, waren wir von in psychologischer Kriegführung spezialisierten Offizieren betreut worden. Doch auch ich hatte ein rebellisches Herz.
Wenn ich Venner lese, entdecke ich, dass dieser Krieg ihn stark beeindruckt, ja ihn »erzogen« hat.
Für mich gerupften alten normannischen Vogel hat er nichts daran geändert, was ich vorher dachte, noch was ich hinterher dachte. Ich bin als Normanne und Europäer losgezogen und als Europäer und Normanne zurückgekehrt. Ich hatte nur die Reihenfolge der beiden untrennbaren Elemente vertauscht. Venner im Aurès, das ist Ernst von Salomon im Baltikum, er zieht daraus eine politische Überzeugung, die so scharf ist wie eine Klinge. Daher sein Engagement in der gefährlichsten Aktion. Da befinden wir uns mitten in den Geächteten. Die gleiche nachmalige Situation wie in den beiden anderen Teilen des Buches, die »Verschworenen«, das heißt, der Komplott und die »Kriminellen«, das heißt, das Gefängnis.
Ich habe beides in dem Buch entdeckt. Auch darüber haben wir niemals gesprochen. Das war seine Vergangenheit, sicherlich entscheidend, doch sie lag hinter ihm. Worüber haben wir also gesprochen? Über die Gegenwart, und vor allem über die Zukunft. Die hieß bei uns Europe Action. Zwischen Juni 1965 und November 1966 erlebten wir Seite an Seite, als Verantwortliche und als Aktivisten in einem, dieses einmalige Abenteuer. Sechzehn Monate an Bord desselben Piratenschiffs. Er als politischer Direktor und ich als Chefredakteur. Aber auch als Kohlentrimmer, Steuermann und Galeerensklave, alle Aufgaben und alle Freuden.
Der Opfergeist
Um ehrlich zu sein, wir sprachen wenig. Das Journal sollte jeden Monat herauskommen, in einer Atmosphäre franziskanischer Armut, die uns gut zu Gesicht stand. Armut, sicherlich. Aber auch Reichtum.
Reich an Mut, an einer Freundschaft, wie ich sie seit langem nicht mehr gekannt hatte und zweifellos nicht noch einmal finden werde. Ich war selten so enthusiastisch und »gläubig« gewesen.
Ich dachte, wir könnten gewinnen. Nicht, dass wir die Macht ergreifen würden, wie einige Naive sich ausmalten – aber die revolutionären Kader für morgen ausbilden.
Einige hundert Jungen und einige dutzend Mädchen haben an diesem Abenteuer teilgenommen. Die der Fédération des étudiants nationalistes, unserer eigenen FEN, und die der Cahiers universitaires.
Die Freunde von Europe Action, tapfere kleine politische Soldaten, die alle ihre Lektion aus einem der Niederlage geweihten Aktivismus gezogen hatten, bildeten eine Elite. Ich würde sogar sagen, einen Orden. Sie waren der Schmelztiegel, aus dem nicht wenige spätere Initiativen flossen, ungeachtet des Erfolgs oder Misserfolgs: der Mouvement nationaliste du progrès [Nationalistische Fortschrittsbewegung], der Rassemblement européen de la liberté [Europäische Freiheitsversammlung], das Institut d’études occidentales [Institut für abendländische Studien], der Groupement de recherche et d’études pour la civilisation européenne [Forschungs- und Studiengruppe für die europäische Zivilisation].
Das war es. Wir hatten eine Schule geschaffen, da wir verstanden hatten, dass die einzige politische Arbeit zu allererst eine Erziehungsarbeit ist. Selbst zu lernen, um andere zu lehren.
Europe Action mit Dominique Venner hat die entscheidende Tat vollbracht. Er hat der »Classe Soixante«, der »Klasse der Sechziger« den Schlüssel in die Hand gelegt, der alle Tore unseres eisernen Gefängnisses öffnet.
Von diesem Abenteuer schreibt »Dom« in seinem Buch sehr wenig. Vielleicht, weil er meint, es sei schlecht ausgegangen, daher seine Melancholie im Kapitel »Abschied von den Waffen«. Ich gebe zu, dass ich die Seiten mit der Laudatio auf Thierry Maulnier nicht sehr mag.
Für mich bleibt das Abenteuer von Europe Action sinnstiftend. Weltanschaulich und menschlich. Wir haben Menschen für ihr Leben geprägt, in dem wir sie eine Schule aus Mut, Klarsichtigkeit und Opfergeist entdecken ließen.
Das wunderbare Buch von Dominique Venner, hervorragend im Sinne einer Etymologie des Furchterregenden und gar Gefährlichen, erklärt uns eine Persönlichkeit mit ihrem Elan und ihren Visionen. Es ist weit mehr als ein Zeugnis. Es ist ein Blitz in einer sturmschwangeren Nacht.
Der Schwertträger ist zum Fackelträger geworden.
Jean Mabire, in: Présent, 26. November 1994.