Vor zwei Tagen, am 24. Mai 2024, ist unser Autor Dr. Eberhard Straub in seiner Berliner Wohnung verstorben. Ein Nachruf von Verlagsleiter Philip Stein.
Es muss im Spätsommer 2017 gewesen sein: Benedikt Kaiser und ich waren in diesem Jahr sehr gefragt – nicht nur medial, das heißt: wahlweise als »interessante« Interviewpartner oder eben als »gefährliche« Aufwiegler, sondern auch hinsichtlich sogenannter Hintergrundgespräche, in denen jene, die sich mit uns öffentlich nie zeigen würden, ihr Interesse an unserer Arbeit (und wohl auch an unseren »Persönlichkeiten«) zu befriedigen versuchten. Es haben in den letzten Jahren unzählige solcher Gespräche stattgefunden; meist organisiert von Kaiser, der auch heute, rund sieben Jahre später, hinter vorgehaltener Hand noch von so manchem aus dem »Mainstream« gern konsultiert wird.
2017 war das Interesse an uns vor allem deshalb so groß, weil Journalisten und (im weitesten Sinne) Denker erstmals erkannten, dass es auch innerhalb der sogenannten Neuen Rechten inhaltliche Brüche gibt, die interessante Fragen aufwerfen. Jungeuropa war gerade gegründet worden – und natürlich war diese Verlagsgründung auch das Ergebnis der vorherigen Publikationen von Kaiser und mir zum Thema »Europa«. Das fiel nun auf, denn die Nationalstaatsromantik und das »Reaktionäre« in der politischen Rechten wurden von uns immer wieder scharf angegriffen. Die »jungen Wilden« waren nun irgendwie da – und das weckte durchaus das Interesse der genannten Akteure. Kurz und gut: Verschiedene Medienmacher wollten wissen, wer wir sind und was wir denken. Es waren gute Gespräche dabei!
So auch im erwähnten Sommer 2017. Kaiser hatte organisiert: Klar, ein Biergarten am Wasser, in Berlin, unweit des Hauptbahnhofs. Er war schon länger in Kontakt mit einem Publizisten und Theatermacher, der sich für seine Arbeit interessierte und später noch eine Rolle im großen Wagenknecht-Theater spielen sollte. Das Gespräch war interessant – aber mehr auch nicht. Es funkte nicht so recht. Anderer Typ. Anderer Habitus. Alles anders eben.
Das änderte sich wenige Stunden später: Eberhard Straub war aufgeschlagen. Die alte Bezeichnung »Hutzelmännchen« passt vielleicht auf niemanden so gut wie auf ihn – und das sage ich selbstredend ohne jeden bösen Gedanken. Denn Eberhard war in diesem Sommer ein kleiner alter Mann in Lederjacke, dessen Frohsinn von nichts getrübt werden konnte und der mit einem freundlichen, breiten Lächeln in den Biergarten gestapft kam. So war es von der ersten Minute unseres Zusammentreffens an: Er bestellte sich ein großes Bier, bot uns ohne Wenn und Aber das Du an (er war völlig frei von akademischem Standesdünkel oder dergleichen!) und plapperte fröhlich los. Wobei: Eberhard plapperte nie wirklich – er ergoss sein unermessliches Wissen über seine Gesprächspartner, und zwar so, als sei es das Normalste der Welt, zu wissen, wer dieses oder jenes abseitige Buch verfasst hat oder wer in welcher Epoche im hintersten Winkel Europas König oder Herrscher war. Und das ist auch das Stichwort: »Europa«. Eberhard war ein romantischer, idealistischer, ja fast verliebter und definitiv glühender Europäer. Er liebte vor allem Italien, dessen politische Rechte er um die dort vorherrschende Leichtigkeit und Ästhetik immer beneidet hat. Von der FAZ zu CasaPound – das ist auch die Geschichte von Eberhard Straub. Und diese Geschichte hatte ihn nun also zu uns geführt, zu den »jungen Wilden«, die Europa neu denken wollten. Das interessierte ihn ehrlich. Das kannte er »von rechts« nicht.
Als echter Universalgelehrter verfasste er eine breite Palette an Büchern zur deutschen und europäischen Kultur- und Geistesgeschichte, etwa Drei letzte Kaiser. Der Untergang der großen europäischen Dynastien (Siedler 1998), Eine kleine Geschichte Preußens (Siedler 2001) oder Der Wiener Kongress. Das große Fest und die Neuordnung Europas (Klett-Cotta 2014), sowie zahlreiche biografische Studien wie Die Wittelsbacher (Siedler 1994), Albert Ballin. Der Reeder des Kaisers (Siedler 2001), Kaiser Wilhelm II. Die Erfindung des Reiches aus dem Geist der Moderne (Landt 2006) oder Wagner und Verdi. Zwei Europäer im 19. Jahrhundert (Klett-Cotta 2012).
Wenn man in Straub indessen lediglich den kulturphilosophischen Publizisten, der er zweifellos auch ist, wahrnimmt und entsprechend würdigt, verzichtet man freilich allzu voreilig auf die politische Dimension des Straubschen Werkes. Dies jedoch würde dazu führen, den Reichtum ebenjenes Werkes zu schmälern und einen gewichtigen Part auszublenden. Denn bei Straub schwingt […] bereits seit etwa 30 Jahren der Antrieb mit, durch historische Essays die Gegenwart ins Visier zu nehmen und herauszufordern.
Benedikt Kaiser im Vorwort zu »Zur Tyrannei der Werte«
Es wäre müßig, Eberhards Vita hier herunterzurattern – und das würde den fröhlichen alten Denker auch nicht die Bohne interessieren. Eberhard war kein formaler Mensch, kein Akademiker mit Geltungsdrang, kein Erbsenzähler, und nichts würde ihn mehr langweilen als das postume Ausrollen seiner Vita. (Wer sich hingegen dafür interessiert, findet hier eine Übersicht.)
Wirklich interessant war, was Eberhard über seine Zeit als Journalist erzählte. Über die »gute alte Zeit«, in der er wochenlang auf Kosten der FAZ in Wien (in einem guten Hotel!) residierte, aß und trank, ausging und lebte und dann am Ende seiner Reise einen Beitrag über diese oder jene Oper verfasste, die er besucht hatte. Eberhard war ein Genießer, einer, der in München lange eine riesige zweistöckige Wohnung im Stadtteil Schwabing bewohnte (wohlgemerkt: als Junggeselle) und dort lebte, wie es Gott in Frankreich und eben auch Eberhard in München taten. Aufs Geld hat der fröhliche Eberhard nie geschaut – »Ich habe es ausgegeben, wie es reinkam!« –, das hat er jedem gern erzählt. Es gehört wohl zur Tragik seiner Geschichte, dass er nach dem Ende der »guten alten Zeit« im Journalismus mit dem Schrumpfen der Honorare und Auflagen gewissermaßen in »Not« geriet. Seine kleine Wohnung in Berlin war nicht vergleichbar mit dem, was Eberhard unter »gutem Leben« verstand. Und doch war er nie wirklich sorgenvoll, er hat’s genommen, wie es kam, auch im hohen Alter, auch im Angesicht der Krankheiten und Gebrechen.
Zuletzt hat Eberhard Straub viel für die Junge Freiheit, CATO oder die Preußische Allgemeine Zeitung (zum Nachruf) geschrieben. Unser Kontakt war ehrlicherweise ziemlich eingeschlafen. Dabei waren wir gern zusammen unterwegs gewesen: Für Eberhard habe ich Lesungen in Marburg (Vortrag hier anhören), Berlin und Dresden organisiert. Wir haben früher oft telefoniert und einander geschrieben. Vor allem natürlich nach seiner Buchveröffentlichung in unserem Verlag: Zur Tyrannei der Werte erschien 2019 in unserer Theorie-Reihe. Für uns war das damals ein ziemlicher Coup. Denn die Vita von Eberhard war »lupenrein«, er kam aus dem Mainstreamjournalismus, hatte in großen Verlagen publiziert und sich nun entschieden, einem jungen, dezidiert rechten Verlag eine Chance zu geben. Und er wurde nicht enttäuscht.
In seiner letzten E-Mail an mich erzählte er mir von seinen neuesten Italienstudien: Giovanni Gentile und andere italienische Faschisten hatten sein Interesse geweckt. Wüssten ehemalige Kollegen, wie Eberhard über dieses und andere Themen mittlerweile dachte, dann … Ja, was dann? Wie isoliert Eberhard als Akademiker und Publizist wirklich war, das kann ich nicht recht sagen. Ich weiß es nicht. Er hat sich in den letzten Jahren jedenfalls für eine politische »Seite« entschieden – und ist diesen Weg dann auch im hohen Alter noch erhobenen Hauptes gegangen. Dafür hat er meinen Respekt.
Waren wir Freunde? Ich weiß es nicht. Vermutlich nicht. Aber wir waren Kameraden – ein Wort, das Eberhard gern gebrauchte. Seine Nachrichten endeten immer gleich: »Mit kameradschaftlichen Grüßen« – und die gebe ich dir wirklich gern zurück, wo immer du jetzt auch sein magst.
Ruhe in Frieden, alter Kamerad!
Guten Tag, ich finde Ihren Artikel und Nachruf über Eberhard Straub hervorragend.; Sie werden ihm mehr als gerecht. Er war ein außergewöhnlicher und vor allem bescheidener Mensch ohne Dünkel. Ich habe ihn kennengelernt und mit ihm zusammengearbeitet als er vorübergehend für den ehemaligen Bauminister Oskar Schneider in Bonn gearbeitet hat. Auch meine Telefongespräche mit ihm wurden leider immer spärlicher. Diese Telefonate werde ich sehr vermissen, zumal ich sehr oft seiner Meinung war und wir „die Welt wieder zurecht gerückt“ hatten und diese war danach wieder für mich in Ordnung. Der einzige Trost der bleibt; er war bis zum Schluss geistig aktiv und hatte nichts von seiner intellektuellen Vitalität verloren.