Wer reist wird unweigerlich feststellen, dass der Umgang mit unserem Planeten und seinen Ressourcen von Region zu Region unterschiedlich ist. Wer darüber hinaus auch noch mit wachem Geist reist, wird fürderhin erkennen können, dass der unterschiedliche Umgang nicht allein mit sozialen Faktoren (Durchschnittseinkommen und Bildungsgrad usw.) erklärbar ist.
Gewiss: Gegenden mit hohem Durchschnittseinkommen der Bevölkerung machen meist einen »aufgeräumteren« Eindruck als die Viertel der Armen. Selbiges gilt für Universitäten und Volksschulen. Allerdings verwischen Klassenunterschiede häufig die tiefer liegende Mentalität. Wo das Hausmädchen und der Gärtner die Umwelt sauber halten, muss man nicht notwendigerweise auch selbst ein ökologischer Saubermann sein.
»Drecksspatzen« im Völkerkaleidoskop
Im Gegenteil: Ökonomische Ressourcen ermöglichen auch ausgesprochenen »Dreckspatzen« ein »sauberes« Leben. Interessant wird die Gretchenfrage nach der Umweltsensibilität bei der Mittel- und Unterschicht, die selber aufräumt, Müll trennt und Sperrmüll recyceln lässt oder gar selber recycelt. Noch spannender wird der Blick auf Klein- und Subsistenzbauern. Wenn in einer Kultur so etwas wie ökologisches Bewusstsein vorhanden ist, müsste es sich doch am ehesten bei denen zeigen, die am wenigstens gesellschaftlichen oder polizeilichen Druck für etwaige Umweltsünder zu befürchten haben?
Und tatsächlich erschließen sich dem aufmerksamen Beobachter von Region zu Region große Unterschiede. Nirgendwo sind diese aber größer als in den Anden zwischen Feuerland und Kolumbien. Auf mehreren tausend Kilometern Länge und mehreren tausend Höhenmetern vom bolivianischen Altiplano bis hinab zur Pazifikküste erstreckt sich ein Völkerkaleidoskop aus indigenen Stämmen, deutschen Bauern und Handwerkern, afrokolumbianischen Fischern, Kleinbauern indianischer Abkunft, Mestizen und schließlich nomadischen Urwaldindianern.
Drei Ansätze: Vernichtung, Vermeidung und Stagnation
Ähnlich kontrastreich wie diese Völkerschau ist auch der Umgang mit Müll, sowohl mit dem eigenen als auch dem der Fremden. Zwischen hoch entwickelter Recyclingwirtschaft und völligem Phlegma inmitten gigantischer Müllberge lässt sich vieles finden.
Dabei lassen sich grob drei verschiedene Ansätze ausmachen:
- Der kollektive Versuch der organisierten Sammlung, Aufbereitung und Vernichtung.
- Der individuelle Versuch der Vermeidung und Wiederaufbereitung.
- Die weitgehende Abwesenheit jedes Vermeidungs-, Aufbereitungs oder Vernichtungsansatzes. Stattdessen Handeln nach Lageerfordernis und »aus der Bewegung heraus«.
»Wirtschaftlichkeit« und Sortierungsprozesse
Der erste Ansatz entspricht weitestgehend dem in Mitteleuropa bekannten. Ein erhöhtes Müllaufkommen wird als unvermeidbare Begleiterscheinung einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft angesehen, als störend empfunden wird der Abfall vor allem, wenn er in Form von Plastikmüll das gesellschaftliche Wohlbefinden im Stadtbild, im eigenen Garten oder auch im Nationalpark stört.
Die Natur als Erholungs- und Kunstraum bedarf der Illusion der Unversehrtheit. Das Mittel zur Erlangung ist die privat oder staatlich organisierte Sammlung des Abfalls. Ob im Anschluss an die Sammlung getrennt und wieder aufbereitet oder lediglich verbrannt und verklappt wird, entscheidet letztlich die »Wirtschaftlichkeit« eines Sortierungsprozesses. Wo aus geografischen Gründen eine kommunale Sammlung nicht möglich ist, etwa auf abgelegenen Höfen im Hinterland, ersetzt die familiäre Mülldeponie in der letzten Ecke des Grundstücks, die alle Jahre angesteckt wird, ein funktionierendes kommunales System.
Paradoxerweise führt dieses System zum »optisch saubersten« Ergebnis. Umweltschutz ist hier vor allem Ordnung und Sauberkeit. Eine etwaige Verschmutzung unsichtbarer Art wird infolgedessen eher hingenommen. Vertreten wird dieser Ansatz vor allem von den Nachfahren europäischer Kolonisten. Deutsche Bauern in Chile oder spanische Criollos in Peru mögen vor allem eines: saubere Grünflächen ohne einen Fetzen Plastik. Ein Hormonproblem im Grundwasser ist da nachrangig.
»Mutter Erde« und die Plastiktüte
Optische Unversehrtheit ist ein Anliegen, das auch den Verfechtern des zweiten Ansatzes wichtig ist. Wichtiger als die Optik ist jedoch die nachhaltige Wiederaufbereitung und Vermeidung. Besonders unter den indigenen Völkern des Kontinents ist der Umgang mit Müll immer auch ein religiöser. Jahrhunderte spanischer Katholizismus konnten die Figur der Pachamama nicht aus dem kollektiven Bewusstsein der Menschen verbannen. Die »Mutter Erde« ist in Form der großzügigen »Gebärerin« aller Gaben vor allem im Hochland allgegenwärtig. Alles was dem Individuum und seiner Dorfgemeinschaft zugute kommt, ist göttlichen Ursprungs: neben Quinoakorn und Kartoffelknolle auch die Chipstüte und die Colaflasche. Begleiterscheinung des Pachamamakults ist seit alters her der Versuch einer archaischen Kreislaufwirtschaft. Was gegeben wurde, muss genutzt werden bis es zerfällt.
Die Langlebigkeit einer Plastiktüte stellt dabei den anständigen Gläubigen vor ein größeres Problem. Eines das sowohl mit Verboten (flächendeckendes Verbot von Einwegplastiktüten in einigen Staaten) als auch mit individuellen Verzichtsentscheidungen angegangen wird. Was unvermeidbar anfällt, wird so gut es geht recycelt, Saatgutsäcke werden zur Abdeckung von Ställen genutzt, zum Transport von Versorgungsgütern auf Maultieren und als »Flatterband« zur Vogelabwehr.
Alter Glaube im Kampf gegen Minenbau und Ölbohrungen
Not allein ist es nicht, die hier erfinderisch macht, der Rohstoff ließe sich ja kostenlos auf den Müllkippen der nächsten größeren Agglomeration aufsammeln. Es ist viel mehr der Versuch, den alten Glauben mit den Erfordernissen der neuen Zeit zu vereinen. Wo dies nicht gelingt, wird dem alten Glauben der Vorzug gegeben. Bei Minenbauprojekten oder Ölbohrungen sind häufig indigene Schamanen in der ersten Reihe der Gegenproteste. Wo der aufgeklärte, weiße Student aus der Hauptstadt um Weltklima und Artenschutz kämpft, geht es dem einzelnen Indio vor Ort ganz handfest um das eigene Seelenheil und um ein Konvolut aus aufgebrachten Naturgeistern sowie einer neuen blutenden Wunde für Mutter Erde, die für gläubige Animisten am Ende auch die eigene Mutter ist.
Sicherlich, die Entfremdung des modernen Menschen von Scholle und Erdkult hält auch in den Anden Einzug, aber hartnäckig klammern sich viele selbst in den Armenvierteln der großen Städte an den Glauben aus der Heimat. Umweltschutz hat hier nichts mit Ordnung oder Sauberkeit zu tun; er ist vielmehr der Versuch, die materielle und die geistige Welt im Gleichgewicht zu halten. So überrascht Beobachter der Widerstand gegen Holzeinschlag und Probebohrung aus den Reihen derjeniger, vor deren Behausungen häufiger Mal Abfall in Haufen herumliegt.
Phlegma und Trotz: Sklaven der Verhältnisse
Der letzte Ansatz wird schlussendlich von denen vertreten, die in ärmlichen Behausungen an der Küste oder in großen Städten vor sich hin leben. In afrokolumbianischen Dörfern an der Küste lebt man im und mit dem Müll. Die Gleichgültigkeit, mit der dort säckeweise Müll aus kleinen Booten just in dem Riff versenkt werden, an dessen Existenz – ob aus touristischen oder fischereiwirtschaftlichen Gründen – das ganze Dorf hängt, erstaunt und erschreckt den Neuankömmling. Danach befragt, stößt man auf eine Mischung aus Phlegma und Trotz. Es ist die Herangehensweise derjeniger, die seit Jahrhunderten jeden Glauben an die eigene Selbstwirksamkeit verloren haben.
Die in Sklavenaufständen erstrittene Freiheit hat die ökonomische Lage der ehemaligen Sklaven nicht erheblich verbessert. Das intelligente »Humankapital«ist nach oben verschwunden, geblieben sind die Stumpfsinnigen und Hoffnungslosen, für die sich Freiheit vor allem darin zu konstituieren scheint, an jeder Stelle den gelegentlich störenden Müll entsorgen zu dürfen, den dann eben hin und wieder der Nachbar nach der nächsten Flut erhält. Da gesellschaftlicher Zusammenhalt und gesellschaftlicher Druck zu Wohlverhalten ebenfalls nicht vorhanden sind, wird eben alles so wie es ist: schlimm und schlimmer.
Nationale Programme zum Schutz der Umwelt gehen vor diesem Hintergrund häufig fehl. Wo Gleichgültigkeit herrscht, kann eine Änderung der Lage nur durch externen Druck und Zwang erfolgen. Das mag in seiner Konsequenz nicht politisch korrekt sein, bezeugt aber einmal mehr den Grundsatz, dass ein Schuh eben nicht auf alle Füße passt. Wer weiterhin meint, ethnokulturelle Hintergründe bei ökologischen Themen mit globaler Konsequenz zu ignorieren, wird schwere Rückschläge hinnehmen müssen.
(Autor: Jörg Sobolewski)
Dieser Text steht stellvertretend für den ganzen Jungeuropa Verlag. Sehr gut und informativ geschrieben, am Brennpunkt der Zeit orientiert, beleuchtet er das Thema Umwelt jenseits von allerorten herrschenden Alarmismus, aus einem erfrischend anderen Blickwinkel.