Meine Großmutter väterlicherseits stammt aus Nürschan, einer ehemals deutschen Kleinstadt im Landkreis Mies, Regierungsbezirk Eger. Dieser Landkreis, der vor den Toren der Stadt Pilsen liegt, wurde 1919 der neu geschaffenen Tschechoslowakei zugeschlagen, kehrte nach dem Münchener Abkommen 1938 in deutsche Hände zurück, nur um dann nach der großen »Niederlage« (Alice Weidel) erneut an Tschechien zu fallen.
Edvard Beneš, das Sudetenland und die Vertreibung
Meiner Großmutter erging es wie vielen Sudetendeutschen – sie wurde als Kind aus ihrer Heimat vertrieben. Der Landkreis Mies spielte dabei sogar eine besondere Rolle, denn von dort aus rollten rund 60 Eisenbahnwaggons gen Westen. Deren Fracht: die ihrer Heimat beraubten Deutschen. In Nürschan, durch das im Übrigen genau diese Waggons rollten, fiel der Hammer besonders heftig: Nahezu alle Deutschen wurden erschlagen oder vertrieben. Meine Großmutter schaffte es lebendig nach Hessen, siedelte in Borken bei Fritzlar. Heute, fast 80 Jahre später, sitze ich über dem Buch Der Heimatkreis Mies. Land und Leute an Miesa und Radbusa und notiere eifrig jene Details, die für die eigene Familiengeschichte relevant sind.
Auch Edvard Beneš und »seine« Dekrete spielen dabei eine Rolle.
Emanuel Moravec und die Kollaboration
In der Heimatstadt meiner Großmutter existierte eine große, profitable Glasfabrik – so wie in mehreren Orten im »Heimatkreis Mies«. Es kommt nicht von ungefähr, dass der tschechische Oberst im Generalstab Emanuel Moravec das Sudetenland kurz vor der Krise mit dem Deutschen Reich als eine der wirtschaftlich wichtigsten Regionen der jungen Tschechoslowakei bezeichnete – und seine Abtretung an Deutschland folglich als fatal, gar als einen Todesstoß für den eigenen Staat bewertete.
Moravec, der bis heute als Schreckgespenst der tschechischen Zeitgeschichte gilt und durchaus als ausgewiesener Gegner des schwachen Präsidenten Beneš bezeichnet werden muss, plädierte für einen Ausgleich, eine Versöhnung mit den Sudetendeutschen. Als aufrichtiger Nationalist war es zwar sein Ansinnen, diese Deutschen im eigenen Staat zu »halten«, doch arbeitete er stets energisch gegen das, was sich unter Beneš und dessen alliierten Herren später gewaltsam vollzog.
Wege in die Zukunft?
Zusammen mit dem tschechischstämmigen Übersetzer Antonín Brousek haben wir diesen Schatz, also Moravecs Buch Das Ende der Beneš-Republik, gehoben. Es ist das für einen Nationalisten unfassbare Bekenntnis eines Mannes, der dem Fortbestand seines Volkes dessen Unabhängigkeit zu opfern bereit war. Ich habe es mit Begeisterung gelesen – denn es eröffnet eine in der Bundesrepublik Deutschland völlig unbekannte Perspektive auf ein Stück Zeitgeschichte, das unter anderen Vorzeichen ganz anders hätte verlaufen können. Moravec und sein Buch stehen Pate für einen schonungslos realistischen Blick auf die Geopolitik Mitteleuropas zwischen den alten Siegermächten England und Frankreich, dem sich neu erhebenden Deutschen Reich und der hinter dem Horizont lauernden Sowjetmacht.
Wir bei Jungeuropa, und das wissen Sie, liebe Leser, sind keine Verfechter eines europäischen Chauvinismus. Doch wir erinnern uns genau daran, was passiert ist – und auch daran, warum es passiert ist. Wir haben diesen Schatz also für eine neue Generation gehoben, die die Geschichte unseres Kontinentes anders als in Schwarz und Weiß zu sehen vermag. Bestellen Sie vor – es lohnt sich!
(Autor: Philip Stein)