24.–25.02.2022, irgendwo im deutschsprachigen Raum
Die Nachricht von der russischen Invasion erreicht mich nicht durch Spiegel-Online und Co., sondern per Telegram durch Nachrichten meiner Freunde und Kameraden in der Ukraine. Es sind exilrussische Nationalisten, ukrainische Aktivisten und Soldaten, Musiker und internationale Freiwillige, die mir direkt aus Kiew, Lemberg und anderen Städten schreiben. Gleichzeitig mit den Nachrichten aus der Ukraine gehen jene meiner deutschen Freunde auf meinem Smartphone ein, und neben diversen Newstickern und Telegramkanälen folge ich der eskalierenden Diskussion innerhalb der deutschen Rechten.
Verschiedene politische Akteure wissen von meinen Aufenthalten in der Ukraine; sie wissen über meine Kontakte zur ukrainischen Bewegung Bescheid, die mit entsprechenden Kenntnissen über den Konflikt und die tragische Geschichte des Landes einhergehen. Es ist eben das eine, sich einen kurzen Artikel zur Frage der Donbass-Zugehörigkeit durchzulesen, und das andere, mit ukrainischen Aktivisten aus dieser Region jahrelange Freundschaft zu pflegen und intensive Gespräche geführt zu haben. Es gibt in diesem Konflikt eben nicht nur Schwarz und Weiß, sondern ein ganzes Nebelmeer an Graustufen. Aber anstatt sich in David Caspar Friedrichscher Tradition als Wanderer über diesem Nebelmeer zu betätigen, verlieren sich große Teile des »patriotischen Lagers« anscheinend lieber darin und liefern Brosamen aus intellektuellen und moralischen Bankrotterklärungen. Aber das ist ein anderes Thema …
Mein Tagesplan änderte sich mit der Nachricht der Invasion schlagartig. Während ich einen Artikel nach dem anderen schreibe, Zusammenfassungen des Konflikts erstelle, Kontakte vermittle und nebenbei versuche herauszufinden, wie die Lage meiner Kameraden, Freunde und Bekannten ist, führe ich nebenbei teils hitzige Diskussionen über die Beurteilung des Konflikts, berate mich mit anderen über mögliche politische Reaktionen und informiere vor allem diverse ukrainische und exilrussische Nationalisten darüber, dass wir selbstverständlich Platz und Hilfe für sie haben, falls sie verschwinden müssten.
Die Lage ist schließlich unübersichtlich: Es gibt Meldungen, dass Kiew bereits eingenommen ist, und viele von ihnen sind in der Hauptstadt. Die Bilder von Tesaks Leiche, einer von mehreren vermeintlichen »Selbstmorden« oppositioneller russischer Nationalisten in den Gefängnissen Putins, sind noch zu frisch und die Ankündigungen Putins, die Ukraine zu »entnazifizieren«, zu drastisch, um etwas anderes zu tun. Sollten sie wirklich der russischen Armee in die Hände fallen, dürfte es für viele einen kurzen Prozess bedeuten. Und wie vermutlich jeder andere, rechne auch ich mit einem vorerst schnellen russischen Vormarsch, weswegen ich der Mitteilung der Hilfsangebote höchste Priorität einräume.
Die Antworten waren zu erwarten: Sie bedanken sich – aber sie bleiben und kämpfen. Mancher schickt bereits lachende Selfies mit Kalaschnikows und Panzerfäusten, zynische Kommentare über die herannahende »Rote Armee« – obschon auch auf russischer Seite ebenfalls Nationalisten kämpfen – inbegriffen. Auch Freundinnen antworten dasselbe; auch sie wollen bleiben und kämpfen – deutsche Rechte, wir werden über diesen Punkt einmal noch reden müssen. Doch der Reihe nach.
Was im Laufe der ersten beiden Tage folgte, ist bereits (freilich eine vielleicht von nicht jedem wahrgenommene) nahe Geschichte. Die Frontlage klärt sich langsam, die Kameraden rufen internationale Freiwillige zur Meldung in Kiew auf, eine Nation mobilisiert zum Kampf um ihre Unabhängigkeit. Und ich? Bin in meiner Wohnung, unzählige Tabs am Laptop offen, rotierend zwischen Telegram, Sprachnachrichten, Artikelanfragen und Gängen zur Kaffeemaschine. Wo ist mein Platz? Soll ich den Aufrufen folgen, helfe ich als Journalist meinen Freunden nicht sogar noch besser – oder ist es meine Aufgabe als politischer Aktivist nicht sogar, sich nicht in solche Konflikte zu begeben, sondern eben den politischen Kampf zu führen? Die Ratio sagt das eine, das schwarze Herz das andere. Aber wie überhaupt hinkommen? Verschiedene Grenzen sind angeblich dicht, genaueres lässt sich nicht rausfinden.
Die Erlösung aus den inneren Kämpfen kommt am Freitag in Form mehrere kurzer Threema-Nachrichten: Ein anderer Freund, wie ich ebenfalls publizistisch tätig, hat ein Budget für die Reise rüber und fragt nach Kontakten. Kontakte? Ich komme mit! Noch ein Anruf, wieder über Threema, bei Jungeuropa-Verlagsleiter Philip Stein, und dieses Online-Tagebuch ist abgeklärt. Wir haben ein Budget, wir haben ein Auto, wir haben Ziele, und schon am nächsten Morgen soll ich abgeholt werden.
Also: Rucksack packen, Vorbereitungen treffen, ukrainische Kontakte anrufen. Nach wenigen Minuten ist alles geklärt: Eine Unterkunft in Lemberg steht, die Reise kann beginnen …
2 Gedanken zu „Ukraine-Tagebuch (I): Threema calling“