Anschlag auf Prilepin: sein erstes Statement

Wie bereits mehrfach angekündigt, bereiten wir seit Jahren die Publikation eines umfangreichen Sammelbandes des russischen Autors Sachar Prilepin vor. Am 6. Mai 2023 wurde auf Prilepin in der Nähe von Nischni Nowgorod ein Anschlag verübt. Er hat schwer verletzt überlebt. Sein Fahrer ist tot. 

Einen Tag nach dem Anschlag meldet sich Prilepin nun erstmals zu Wort. Wir haben sein Statement übersetzt:

Grüße an alle meine Brüder und Schwestern.

Mein Bruder, der acht Jahre lang mein Schutzengel war, ist gestorben. Sascha »Der Böse« Schubin. Ein tapferer Soldat, Freund und Bruder.

Ich habe gerade mein Handy bekommen. In den Medien herrscht Verwirrung. Sascha saß rechts auf dem Beifahrersitz. Ich bin gefahren. Die Explosion ereignete sich unter dem Vorderrad auf Saschas Seite.

Ich verlor für etwa drei Minuten das Bewusstsein, dann wachte ich auf und kroch durch die zerborstene Windschutzscheibe. Die herbeigeeilten Dorfbewohner halfen mir hinaus. Meine beiden Beine waren (offen) gebrochen, und da war noch etwas anderes.

»Lenta.ru« schrieb, dass ich nicht gewusst hätte, was passiert war. Ich habe sie vor Ort nicht gesehen. Ich bat darum, das Telefon aus dem Auto zu holen, gab sofort alle Anweisungen, weil mir alles klar war, als ich aufwachte. Dann hat mir eine Nachbarin ein Betäubungsmittel gegeben.

Danke an Gleb Sergejewitsch Nikitin, der sofort einen Hubschrauber schickte. Von dort waren es drei Stunden bis in die Stadt, und ich bin mir nicht sicher, ob ich das bei klarem Verstand geschafft hätte. Der Hubschrauber war in 16 Minuten da.

Schon dort hörte ich von zwei Minen. Aber gleich nachdem die erste explodiert ist, hat der Kerl Angst bekommen und ist weggelaufen. Hätte er die zweite Mine gezündet, wären alle gestorben.

Sie haben ihn erwischt.

Ich hatte meine Tochter tatsächlich fünf Minuten vor der Explosion abgesetzt.

Scharij [ein ukrainischer Blogger] hat in seinem Video alles falsch erzählt. Er zeigt Bilder von Häusern, die nicht aus meinem Dorf sind. Hier hätten über Nacht zehn Minen vergraben werden können. Es gibt kein einziges Fenster in diese Richtung, durch die man etwas hätte sehen können.

Danke an alle, die für mich gebetet haben: Es ist unmöglich, eine solche Explosion zu überleben.

Danke an Prigoschin, Medwedew, Sacharowa, Simonijan, Mironow, Bojakow, all die Soldaten und Offiziere des Regiments Oplot, die Brüder von den Kriegsberichterstattern, die sofort reagiert haben. Sie haben mir genau diese Solidaritätsbekundungen mitgebracht, andere habe ich nicht gesehen.

Danke an die ganze Familie, ich kann alles hören und fühlen.

Danke an Sanja, er hat mir in diesen acht Jahren mehrmals das Leben gerettet.

Ich weiß nicht, welche Worte ich dir, Sanja, in diesem Moment sagen soll. Sanja und ich haben gerade begonnen, in unserem Dorf eine Kapelle zu bauen.

Ich werde sie fertigstellen. Sie wird dem Heiligen Alexander geweiht sein.

Ich sage den Dämonen: Ihr könnt niemanden erschrecken.

Es gibt einen Gott.

Wir werden siegen.

Prilepin ist einer der bekanntesten Autoren Russlands. Seine Bücher, vor allem seine Romane, haben sich hunderttausendfach verkauft und dienten u. a. als Vorlagen für Kinofilmdrehbücher. Seit einigen Jahren ist Prilepin vom krassen Putin-Kritiker zum Befürworter des Präsidenten und des Krieges geworden – das kann ganz wertfrei festgestellt werden. Er war monatelang in verschiedenen umkämpften Gebieten als Kombattant unterwegs – bis vor drei Tagen, an dem eine rund 2,5 Kilo schwere Sprengladung unter seinem Autositz detonierte.

Sein Roman Sankya, der in deutscher Sprache vorliegt, ist für mich ganz persönlich einer der besten Romane, die ich je gelesen habe.

In einer Podcast-Episode habe ich den Roman mit unserem Autor Volker Zierke besprochen.

Der Krieg geht an unserem Verlag alles andere als spurlos vorbei: Nachdem im letzten Jahr unser Autor Mykola Krawtschenko auf ukrainischer Seite gefallen ist, wäre heute einer unserer Autoren auf der anderen Seite beinahe ermordet worden.

Prilepins Buch erscheint definitiv noch dieses Jahr bei uns.

(Autor: Philip Stein)

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