Erst war es nur ein Gerücht, das sich am Mittwochabend rasend schnell verbreitete. Doch schon am nächsten Morgen schienen sich die Anzeichen dafür zu verdichten, dass die italienische Regierung nun ernstlich die Räumung des Gebäudes in der Via Napoleone III Nummer 8 in Rom in Angriff nehmen wolle: des Hauptquartiers der Bewegung CasaPound Italia (CPI). Seither geben sich Pressevertreter vor dem Haus die Klinke in die Hand, um neben O-Tönen auch die ersten Aufnahmen einer möglichen sofortigen Räumung einzufangen.
Wohnraum für italienische Familien
Seit 17 Jahren ist das Gebäude unweit des Hauptbahnhofes Roma-Termini bereits besetzt. Das leer stehende Verwaltungsgebäude dient heute mehrheitlich als Wohngebäude für in Wohnungsnot geratene italienische Familien. Zudem dient es der Bewegung CasaPound Italia als deren zentraler Stützpunkt; tatsächlich entstand diese Bewegung just im Zuge der Besetzung des Hauses im Dezember 2003.
Damals drangen radikal rechte Aktivisten in das leer stehende Gebäude ein, besetzten es und führten es einer Renovierung zu, die im Laufe der Zeit über 100 Menschen ermöglichen sollte, in dem Haus ein Obdach zu finden. Zentrales Motiv der Entstehung von CPI – benannt nach dem US-amerikanischen Dichter Ezra Pound, der sich unter anderem intensiv mit dem Begriff der usura (dt.: Wucher) auseinandersetzte – ist der Kampf gegen den Mietwucher und die Wohnungsnot in Italien. Für CasaPound bedeutete die Besetzung jenes Palazzos ein bis heute im Zentrum der Hauptstadt Rom zum Leben erwecktes Fanal gegen Immobilienspekulation und die Verdrängung der einheimischen Italiener aus ihren Stadtzentren. Der überwiegende Teil des Gebäudes der CasaPound besteht heute aus gewöhnlich eingerichteten Wohneinheiten, die von »normalen« Wohnungen nicht zu unterscheiden sind.
Ironischerweise gehört das Gebäude jedoch dem italienischen Staat. Es ist Teil des Portfolios der »Agenzia del Demanio«, der staatlichen Immobilienagentur, deren Aufgabe die Verwaltung und Verwertung staatseigenen Grundstücksbesitzes nach marktwirtschaftlichen Kriterien ist. Diese untersteht wiederum dem Ministerium für Wirtschaft und Finanzen. Genutzt wurde das Verwaltungsgebäude seit den 1960er Jahren allerdings durch das Bildungsministerium, bevor dieses das mehrstöckige Haus räumte und verfallen ließ.
Ein Privatkrieg gegen die CasaPound
Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi (Fünf-Sterne-Bewegung) führt bereits seit einiger Zeit eine Art Privatkrieg gegen die CasaPound (wir berichteten). Ihr waren bisher jedoch die Hände gebunden, da das Gebäude nicht im Eigentum der Stadt steht, sondern dem italienischen Staat gehört. Einzig über die charakteristische Inschrift über dem Eingangsportal konnte die römische Magistratur verfügen und ordnete die Entfernung an, der CPI zuvorkam, indem deren Aktivisten die Marmorbuchstaben abbauten und in Sicherheit brachten. Erst kürzlich machte sich Raggi mit der von der extremen Linken erhobenen Forderung nach der Räumung eines ebenfalls von CPI besetzten und zum Wohnraum umfunktionierten Militärgeländes in Ostia gemein.
Aus einem verlassenen und dem Verfall überlassenen Gebäude der italienischen Luftwaffe machten einige Aktivisten kurzerhand die »Area 121«, die als Wohnraum und soziale Anlaufstelle den Stadtteil aufwerten soll. Fotos im Internet zeigen die Aufräumarbeiten. Der militante Arm der autonomen linken Szene sowie Personen aus dem Umfeld der Partisanenstiftung ANPI hatten kurz zuvor gegen die Einrichtung zu demonstrieren versucht. Nur das Eingreifen der Polizei verhinderte eine handfeste Auseinandersetzung zwischen den antifaschistischen Demonstranten und Anhängern der CasaPound, die sich den Linksextremisten in den Weg stellen wollten. Als Virginia Raggi Ende Mai einen wahlkampforientierten Rundgang durch Ostia veranstalten wollte, wurde ihr Auto von CPI-Aktivisten kurzerhand blockiert, die ihr vorwarfen, sich gegen die eigenen Bürger zu stellen, die im Zuge einer etwaigen Räumung der »Area 121« von akuter Obdachlosigkeit bedroht seien. Auch Anwohner und örtliche Geschäftstreibende bedrängten die Bürgermeisterin und riefen ihr zu, dass sie in Ostia nicht willkommen sei, da sie den Stadtteil nur als Laufsteg für ihren Wahlkampf aufsuche.
Gestern ließen dann diverse italienische Medien verlauten, das zuständige Wirtschaftsministerium habe die im römischen Bürgermeisterpalast langersehnte Räumungsprozedur in Gang gesetzt: Vizewirtschaftsministerin Laura Castelli, ebenfalls von den Fünf Sternen, überbrachte demnach die Meldung, dass das Ministerium den Weg für eine Räumung frei und den Anspruch auf das Gebäude geltend gemacht habe. Bürgermeisterin Raggi bestätigte dies in einem Tweet, nach dem das Gerücht bereits gestern die Runde machte. Im Zuge der Einvernahme eines Aktivisten sei die Information aus Sicherheitskreisen an die Bewegung herangetragen worden, hieß es Mittwochabend auf dem Blog der Nachrichtenagentur Adnkronos. Die dazugehörige Meldung wurde jedoch rasch wieder gelöscht. Zuvor hatten die Polizei und die Staatsschutzeinheit DIGOS bereits dementiert, dass man Aktivisten der Bewegung mit der Räumung konfrontiert oder von dieser Meldung überhaupt gewusst habe.
Ministerien, Spezialeinheiten, Beschlagnahme
Seitens der CasaPound reagierte man zunächst zurückhaltend. Wie man mit dieser Situation umgehen werde, entscheide wie immer die gemeinsame Beratung, die Riunione der Führungskader, hieß es am späten Mittwochabend aus den Reihen der Leitungsebene.
Ohnehin war jedoch Skepsis daran angebracht, wie ernst der italienische Staat es diesmal mit der Räumung meinen würde. Es ist nicht der erste Versuch, der Bewegung das Gebäude zu entreißen, jedoch scheiterten bisherige Bemühungen zumeist an fehlenden politischen Mehrheiten. Eine Räumung wurde indes noch nie gewagt. Fraglich ist jetzt, inwieweit sich die Änderung der Beschlusslage vor dem Hintergrund des bürokratischen Geflechts der italienischen Behörden in Tatsachen verwandeln wird. An einer eigenen Polizeitruppe, die im Zweifel sogar zur Übernahme militärischer und allgemeinpolizeilicher Aufgaben befähigt ist, mangelt es dem zuständigen Ministerium jedenfalls nicht. In Gestalt der Guardia di Finanza verfügt das Wirtschafts- und Finanzministerium über zehntausende Beamte und diverse, insbesondere in Großlagen erfahrene Bereitschaftseinheiten, deren Einsatz in solchen Fällen jedoch ohnehin von der Mitwirkung weiterer Ressorts abhängig sein dürfte. Dahingehend konnte bereits gestern davon ausgegangen werden, dass eine unmittelbare Räumungsaktion nicht bevorsteht. Dass die italienischen Behörden eine solche Großoperation, die der Abstimmung und Koordinierung mehrerer Staatsministerien, zahlreicher Sicherheitsorgane und der lokalen Verwaltung bedarf, innerhalb von wenigen Stunden auf die Beine stellen: ausgeschlossen.
Am Donnerstagabend dann eine neue Dynamik. Nach einer Klarstellung von Davide di Stefano, eines der Anführer von CPI, ruderten diverse Presseagenturen zurück und revidierten ihre Meldungen. Grundlage dieser Entwicklung war die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft für das besetzte Gebäude eine vorbeugende Beschlagnahme (sequestro preventivo) beantragt hatte, der ein entsprechendes Untersuchungsgericht kürzlich stattgab. Unmittelbare Wirkung hinsichtlich einer Räumung entwickelt diese Verfügung bislang jedoch nicht. Nach Aussage der CasaPound-Führung sei dieser Bescheid auch noch nicht zugegangen. Wirkung entfaltet dieser Zug der Staatsanwaltschaft jedoch dahingehend, dass die Besetzung in der Via Napoleone III auf einer Liste nach oben rutscht, auf der das Innenministerium besetzte Gebäude führt, die prioritär zu räumen sind. Eine unmittelbare Räumung bedeutet dies jedoch keineswegs.
Auch in Italien: ein linksextremer Staatsanwalt
Interessant ist hingegen ein weiteres Detail: Verantwortlich für das gegenwärtige juristische Vorgehen gegen CasaPound ist nach übereinstimmenden Berichten diverser großer Medien des Landes der Staatsanwalt Eugenio Albamonte. Albamonte, ein hochrangiger Beamter, der in der Vergangenheit selbst schon ins Visier der Justiz geraten war, wird dem extrem linken Spektrum zugerechnet. In den sozialen Medien teilt er ungeniert Bilder der linksextrem beeinflussten Partisanenorganisation ANPI und positioniert sich auch sonst weit linksaußen, etwa in Sachen des in Italien seit Jahren diskutierten Staatsbürgerschaftsrechtes oder der Unterstützung illegaler Einwanderung durch dubiose Nichtregierungsorganisationen.
Die Meldung über das Informationsleck beim Staatsschutz und die Ankündigung der Staatsanwaltschaft, die offenbar über den Tisch einiger Vertreter der Fünf-Sterne-Bewegung ging, entwickelten zügig ein Eigenleben, das die Bürgermeisterin und ihre Parteikollegin im Wirtschaftsministerium dazu trieb, sich den scheinbaren Erfolg im anlaufenden Bürgermeisterwahlkampf zu eigen machen zu wollen. Kritik an dieser Art von Manöver kommt derweil auch aus Richtung der Rechtsparteien Lega und Fratelli d’Italia. Auch CasaPound spricht von einem Wahlkampfbluff und einem Schaufenstermanöver, mit dem Raggi von ihrer eher mäßigen Bilanz nach vier Jahren im Amt des Bürgermeisters der Hauptstadt ablenken und Stimmen am linken Rand fischen wolle.
Rom: 100 politisch besetzte Gebäude
Ferner kritisierten diverse Exponenten von Lega und Fratelli d’Italia die ihrer Ansicht nach falschen Prioritäten der Bürgermeisterin. Während es in Rom über 100 politisch besetzte Gebäude gebe, man illegale Einwanderer in Hotels einquartiere und zahlreiche weitere Gebäude von illegalen Ausländern besetzt gehalten würden, führe Virginia Raggi einen Privatkrieg ausgerechnet gegen jene Besetzung, dank der zahlreiche italienische Familien ein Obdach gefunden haben. Raggi führe einen obsessiven Kampf gegen CasaPound, verschließe aber die Augen davor, dass ganz Rom überquelle von Hausbesetzungen der linken Szene, kritisierte etwa Ignazio La Russa, Vizepräsident des italienischen Senats und ehemaliger Verteidigungsminister. Über den Aktivitäten linksextremer Hausbesetzerprojekte, die nicht selten offene Drogenumschlagplätze darstellen, liege »ein mafiaartiges Schweigegelübde«, kritisierte Simone di Stefano aus dem Vorstand der CPI. Dies könnte daran liegen, so di Stefano weiter, dass Roms Vizebürgermeister und Stellvertreter Raggis, der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär Luca Bergamo, ein Stammgast auf solchen Drogenparties sei.
Gianluca Iannone, Anführer der CasaPound, sagte im Zuge einer ähnlichen Räumungsdiskussion im Jahr 2019, dass eine Räumung des Gebäudes einem »kriegerischen Akt« gleichkäme. Vorwerfen lassen müsste sich die Polizei seitens der Aktivisten jedenfalls, dass sie über 100 Personen, darunter zahlreiche Familien, die in keinem unmittelbaren politischen Verhältnis zu CasaPound stehen, gewaltsam in die Obdachlosigkeit zwingen würde. Dem wiederum widerspricht Bürgermeisterin Raggi und betont den Standpunkt der Magistratur, dass öffentlicher Wohnraum für sozial schwache Familien sehr wohl existiere, dieser aber denen zustehe, die sich an Recht und Gesetz halten. Die Besetzer der Via Napoleone III nannte sie gegenüber der Tageszeitung Il Giornale »Meister der Illegalität« und »Schlaumeier«, von denen die meisten sich sehr wohl eine Wohnung leisten könnten. Wie sie zu dieser individuellen Einschätzung kam, verriet sie jedoch nicht.
Die Stadtverwaltung von Rom jedenfalls kann die Räumung des Gebäudes nicht selbst anordnen, kündigte jedoch an, derartige Bestrebungen seitens der zuständigen Bundesbehörden mit allen Kräften zu unterstützen.
Auseinandersetzen müssten sich die Sicherheitskräfte dann im Zweifel mit dem Widerstand hunderter Aktivisten, sollte CasaPound beschließen, das Haus nicht freiwillig zu räumen. Dass es zu handfesten Verbarrikadierungen kommen würde, deutete man seitens CasaPound jedenfalls schon an. Auch juristisch werde man sich gegen alle Schritte der Behörden zur Wehr setzen.
Denkbar wäre jedoch, dass die Behörden die Führungskräfte der Bewegung einzeln mit Anklagen überziehen und im Voraus verhaften, um so den Organisationsgrad eines möglichen Widerstandes zu demobilisieren. Längst geht das Gerücht um, eine solche Verfügung gegen 16 Führungskader stehe bereits kurz vor der Vollstreckung. Ob und wann die Behörden nun den Showdown suchen werden, bleibt vorerst jedoch unklar.
(Autor: John Hoewer)