In seinem vorerst letzten Thesenbeitrag dieser unkonventionellen Reihe zur Ökologie wagt unser Autor Jörg Dittus einen Angriff auf das in Deutschland wohl gefährlichste Ziel: das Automobil und seine Hersteller. Carsharing statt Privatnutzung? BMW war gestern!
Die Analyse der Europawahlen war noch in vollem Gange, da machte der Vorsitzende der JA Berlin, David Eckert, mit einer mutigen Stellungnahme von sich reden: er nahm sich, wie es der Jugend gebührt, Raum und forderte die Funktions- und Mandatsträger der Mutterpartei eindringlich auf, die Themen Umweltschutz und Klimawandel stärker zu besetzen und diesbezüglich einen Kurswechsel einzuschlagen. Die derzeitigen Positionen der AfD hierzu seien nicht vermittelbar, weshalb, und das belegen die Umfrageergebnisse nach den dringenden Fragen, denen sich die Politik zu widmen habe, vor allem junge Menschen ihr Kreuz nicht bei der Alternative machten.
Dieser, im besten Sinne des Wortes, freche Vorstoß eines Vorsitzenden einer politischen Jugendorganisation war in letzter Zeit nicht der einzige – und es werden hoffentlich noch viele davon kommen. Vor wenigen Wochen ließ der Bundesvorsitzende der Jusos Kevin Kühnert die Emotionen aller sich im Politbetrieb befindlichen hochkochen, als er zur Diskussion stellte, den BMW-Konzern zu enteignen. Die Reaktionen fielen unterschiedlich aus, letzten Endes war man sich dann aber doch bis auf wenige Ausnahmen einig, dass die grundlegenden Besitzverhältnisse und die wachsende Kluft zwischen mühelosem Einkommen und wertschaffender Arbeit nicht angetastet werden dürfen.
Enteignung ist Umweltschutz!
Es ist erstaunlich, wie sich oppositionell und alternativ gebärende politische Akteure in der Frage, ob »die da oben« so unverschämt viel mehr besitzen dürfen als »die da unten« auf die Seite der wenigen, »des Kapitals« schlagen. Doch ist diese soziale Frage auch eine ökologische Frage, der auf immer größeres Wachstum sich gründende Turbokapitalismus die Triebfeder der Umweltverschmutzung, der Umweltzerstörung. Am Beispiel eines Alltagsgegenstandes möchte ich dies exemplarisch ausführen und folgende These aufstellen: Nicht nur die großen BMW-Aktionäre gilt es zu ihrer Anteile zu enteignen, sondern die BMW-Fahrer gleich mit! Denn, und so lassen sich die Vorstöße Eckerts und Kühnerts verknüpfen: Enteignung ist Umweltschutz!
BMW ist hierbei nur sinnbildlich zu verstehen und die Parole auf alle Autobauer zu übertragen, allein: ich wollte Kühnerts Aussage weiterführen.
Gemeinhin wird das eigene Auto als Symbol der Freiheit und Unabhängigkeit gepriesen. Doch dies ist lediglich eine überaus oberflächliche Betrachtung. Schaut man näher hin, hat das Auto mit Freiheit nicht wirklich viel zu tun. Das überaus begrenzte Raumangebot ist nur das offensichtlichste Anzeichen hierfür.
Eine Anekdote soll dies verdeutlichen: Als ich eines Sommers ein Praktikum in einem Bauunternehmen ein wenig außerhalb von Darmstadt machte, wohnte ich in dieser hessischen Stadt und fuhr jeden Tag morgens mit dem Bus in den kleinen Ort und abends wieder zurück in mein Domizil. Eines Tages fiel mir auf, dass die überwältigende Mehrheit der jeweiligen Verkehrsteilnehmer stets in der gegenläufigen Richtung unterwegs war. Noch dazu fast ausschließlich allein im Fünfsitzer und – im Stau. Tag für Tag, Woche für Woche … Keine Baustelle war daran schuld, es war Normalität. (Da Schulferien waren, vermute ich sogar, dass verhältnismäßig wenig Verkehr war.) Laut einer INRIX-Studie stand jeder Deutsche 2018 im Durchschnitt 120 Stunden im Stau; in Berlin sind es sogar rund 154 Stunden und damit ergibt das in etwa die Zeit, die man in einem Monat arbeitet.
Ein weiterer Aspekt sind die enormen Kosten, die ein Auto nicht für jedermann leistbar machen. Dabei wird allzuoft übersehen, dass neben den Spritkosten, Kfz-Steuer und Versicherung auch das Gefährt selbst an Wert verliert und Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten nebst Ersatzteilen anfallen. Je nach Fahrzeugmodell, gefahrenen Kilometern, Nutzungsdauer und anderer Parameter kommt man damit natürlich zu recht unterschiedlichen Kosten. Eine ADAC-Studie kommt im April 2019 für einen VW Golf so auf Kosten von 45,3 Cent pro Kilometer. Nimmt man nun eine Jahresfahrleistung von 15.000 Kilometer an (dieser Wert liegt der Berechnung zugrunde), belaufen sich die Kosten im Monat auf 566,25 Euro oder 6.795 Euro im Jahr.
Um die beiden vorhergehenden Absätze plakativ zusammenzufassen: Sie arbeiten mindestens drei Monate im Jahr dafür, damit Sie einen Monat im Stau stehen dürfen. Freiheit ist schon etwas Wundervolles …
Homeoffice, Digitalisierung und die Standard Oil Company
Wieviel mehr Lebensqualität und auch Freiheit brächte es mit sich, auf sein Auto zu verzichten und von zu Hause aus zu arbeiten – und zwar die Zeit auch noch weniger, die man ansonsten finanziell direkt ins Auto steckte? Die Digitalisierung und die Dienstleistungsgesellschaft machen dies möglich. Die neu gewonnene Zeit könnte in den Anbau eigener Lebensmittel im Garten gesteckt werden, womit ein weiterer Schritt zu einem umweltverträglicheren Leben gegangen wäre. Ebenso müsste ein Großteil der Flächen nicht mehr versiegelt werden und/oder sein. Die Bundesrepublik Deutschland besteht zu etwa 2,2 Prozent aus Wasserflächen und ebenso hoch ist auch der Anteil der versiegelten Verkehrsflächen.
Deutschland war nicht immer ein Land von Autofahrern. Die Reichsbahn war 1938 das größte Unternehmen der Welt und die NSU AG führte 1957 den Weltmarkt in der Sparte Fahrräder und Kleinkrafträder an. Erst in den 1950er Jahren wurde das eigene Auto für alle beliebt – gemacht. Hierbei half die Steuergesetzgebung aus dem Jahre 1957, die eine Anrechnung von Belastungen aus der gewerblichen aber auch privaten Nutzung des Automobils auf die Abgabenlast möglich machte. Ein Weiteres tat die Stadtplanung nach der Charta von Athen unter dem Schlagwort der »autogerechten Stadt«. Vor allem in den vom Bombenkrieg verheerten Städten konnten sich Stadt- und Raumplaner austoben. Sie schafften den Platz, der für den Pkw-getragenen Individualverkehr notwendig war, der in den Folgejahren die Fahrräder und Straßenbahnen zurückdrängen sollte.
In den Vereinigten Staaten war die Situation ähnlich: Vor allem elektrische Straßenbahnen prägten das Stadtbild. Nur wenige konnten oder wollten sich ein Auto leisten. Dies ärgerte neben den Autoherstellern auch die Ölfabrikanten. Allen voran John Davison Rockefellers Standard Oil Company. Bezeichnend ist, dass es für den wertvollen Rohstoff Öl kaum einen Nutzen gab, bis dessen Raffinerieprodukte zum Antrieb von Automotoren zum Einsatz kamen. Jetzt mussten nur noch genügend Automotoren verkauft und genutzt werden. Betreiber von Ölraffinerien, Automobilhersteller und Reifenproduzenten schlossen sich deshalb zusammen, den Straßenbahnen den Kampf anzusagen. Man gründete die National City Lines und kaufte mehrere hundert Tramunternehmen, damit der Verkehr auf benzingetriebene Fahrzeuge umgestellt werden konnte. Es wurden hierfür Politiker geschmiert und nicht selten arbeitete man mit der Mafia zusammen.
Die Abhängigkeit von schwarzem Gold, Kupfer und Erzen
29,5 Prozent (765 TWh) des Endenergieverbrauchs in der Bundesrepublik Deutschland (2.591 TWh) entfallen auf den Sektor Verkehr und davon wiederum 94,3 Prozent (722 TWh) auf Mineralölprodukte. Dahinter steht ein Komplex aus Konzernen, Industrien und Lobbys. Aber auch Ausbeutung, Imperialismus und Umweltzerstörung. Ohne die Abhängigkeit der westlichen Welt vom schwarzen Gold wären die US-Interventionen im arabischen und auch lateinamerikanischen Raum schlicht nicht von »Nationalem Interesse«. Die Handelsrouten der Ölkonzerne werden stellenweise militärisch gesichert, da sie empfindliche Schlagadern des US-dominierten Turbokapitalismus darstellen. Die Ölkrisen der 1970er Jahre legen beredtes Zeugnis ab. Die Havarie der Exxon Valdez wurde überdies zum Sinnbild der Umweltverschmutzung durch Öl und Ölkonzerne. Der Eingriff in intakte Ökosysteme beim Fördern des Rohstoffs Öl soll allerdings auch nicht vernachlässigt werden.
Natürlich dient Erdöl nicht nur der Energieversorgung, sondern ist als Grundstoff in beinahe jedem Alltagsgegenstand vorhanden und somit derzeit schwer wegzudenken. Dies unterstreicht allerdings die Abhängigkeit von einem einzigen Rohstoff und dem dahinterstehenden Komplex. Eine Reduktion dieser Produkte auf der einen Seite und ein Ersatz durch zum Beispiel Biokunststoffe, die teils älter sind als die dann in der Herstellung deutlich günstigeren und sie deshalb verdrängenden Kunststoffe auf Erdölbasis, auf der anderen können diese Abhängigkeit, die sich auch geopolitisch und geostrategisch auswirken wird, nicht nur zurückdrängen, sondern auch brechen. Eine europäische Biokunststoffindustrie könnte entstehen.
Der oben erwähnte Eingriff in intakte Ökosysteme zeigt sich auch bei der Gewinnung der Rohstoffe für das Auto selbst. Ein handelsüblicher Golf besteht zu rund zwei Dritteln des Gewichts aus Stahl und Eisen. Um an die hierfür notwendigen Erze zu gelangen, werden nicht nur tausende Menschen von ihrem Land vertrieben, sondern auch riesige Flächen im wahrsten Sinne des Wortes verwüstet.
Hinzu kommen unglaubliche Mengen an Wasser, die durch den Tagebau verschmutzt werden sowie die Abgase, die bei der Verhüttung bei enormem Energieverbrauch freigesetzt werden. In Brasilien wird Regenwald gerodet und im Anschluss wird darauf der schnellwachsende Eukalyptus angebaut, dessen Holz für die Verhüttung genutzt wird. Nach drei Ernten Monokultur, und damit einhergehender massiver petrochemischer Düngung, bleibt der Boden von Pestiziden verseucht und ausgelaugt zurück. An eine Nahrungsmittelproduktion ist zukünftig auf diesen Flächen nicht zu denken.
Ähnlich, und wenn anders, dann einfach schlimmer, sieht es bei der Gewinnung von Kupfer und Aluminium und der Förderung deren Erze aus. Bei den heute in der Debatte dominierenden Elektroautos kommen überdies noch die für die Akkus benötigten Seltenen Erden hinzu, für deren Abbau das oben Gesagte entsprechend gilt. Nur am Rande erwähnt werden soll die Tatsache, dass diese meist von Kindern im Tagebau abgebaut werden – deren Gesundheit natürlich keinerlei Rolle spielt.
Wenn das Auto die Köpfe der Menschen verlässt …
Bevor das Auto die Straße auf lange Sicht verlässt, muss es die Köpfe der Fahrer verlassen. Solange das Auto als Statussymbol und Symbol der individuellen Freiheit angesehen wird, kann eine Veränderung zum Wohle der Natur nicht stattfinden. Das Konkurrenzdenken, den schönsten, schnellsten, leistungsstärksten oder schlichtweg teuersten Wagen in der Nachbarschaft, der Familie, dem Bekanntenkreis oder im beruflichen Umfeld zu besitzen, wird den Besitz und den Gebrauch nach bloßem Nutzen stets hintanstellen.
Wieso besitzt aber nicht lediglich die Stadt Autos und gewährt den Bewohnern, diese zu nutzen? Zum Beispiel über eine App könnte man sich ein Fahrzeug, das dem Nutzen angemessen ist, für den gewünschten Zeitraum zur Verfügung stellen lassen. Der städtische Fuhrpark ist folglich ein gemeinschaftlicher und effizient genutzter. Fahrzeuge können besser ausgelastet werden und sie stehen weniger in Garagen oder auf Parkplätzen herum. Generell werden weniger Fahrzeuge notwendig sein, wenn nicht jeder einzelne für die zwei Fahrten in der Woche zum Supermarkt gleich ein Auto besitzen muss.
Bis Städte durch Arkologien ersetzt wurden und der ländliche Raum endlich wieder für die Natur geworden sein wird, braucht es ein Verkehrskonzept, das die Zahl der Autos reduziert und nicht auf den je eigenen Wagen in der Garage setzt. Der Trend, über einen Zweit- oder gar Drittwagen zu verfügen, ist mit dem Begriff »Luxus« nicht mehr darstellbar. Erste Ansätze sind bereits mit den inzwischen recht verbreiteten Carsharing-Modellen in urbanen Zentren gegeben. Hier gilt es aber auch von staatlicher Seite, diese entweder zu begünstigen oder gar selbst in die Hand zu nehmen. Besonders die Parkgebührthematik macht es Carsharing-Plattformen nahezu unmöglich, kostengünstig arbeiten zu können. Wird ein Auto mehrmals am Tage jeweils für nur wenige Minuten abgestellt, wird dennoch ein deutlich längerer Zeitraum als Mindestparkdauer abgebucht, weshalb theoretisch mehr als 24 Stunden Parkzeit an einem Tag verrechnet werden.
Hinzu kommt die Tatsache, dass man in Berlin für 40 Euro einen Anwohnerparkausweis für zwei Jahre bekommt. Im Jahr 2014 zahlte eine Carsharing-Flotte mit 350 Fahrzeugen 650.000 Euro an die Berliner Bezirke; privat kommt man bei der gleichen Anzahl Autos auf 7.000 Euro. Hier muss sich also noch einiges tun, bis man aus dem Haus geht und in das nächstgelegene, per App gebuchte Auto steigt und auf seinem Weg noch jemanden mitnimmt, der zumindest eine Teilstrecke den gleichen Weg hat. Abgerechnet wird nach Zeit, Kilometer und Anzahl der Fahrer.
Für den ländlichen Raum wäre eine erhebliche Verbesserung des ÖPNV-Angebots notwendig und denkbar, die dort und dann mit dem jeweils passenden Fahrzeug aufwartet, wo und wann eine gewisse Anzahl Personen sich per App hierfür melden. Grundgedanke des ÖPNV darf nicht der Profit sein. Er ist eine Daseinsvorsorge, die vom Staat erbracht werden muss, weshalb eine Privatisierung in diesem Bereich auch völlig widersinnig war und ist. Einziger Nachteil dabei: der ländliche Raum gewinnt an Attraktivität und genau das möchte ich eigentlich vermeiden, da ansonsten die Zersiedelung der Landschaft noch weiter vorangetrieben wird.
Zum ersten Beitrag der Reihe geht es hier, zum zweiten gleich hier.
(Autor: Jörg Dittus)