»Geisteskrank genug für ein Manifest«? – Interview mit Sebastian Schwaerzel

Als Schizoid Man vor Kurzem erschien, verbreitete sich schnell die Kunde: Da wäre einer, der schreibe wie Kracht, nein, wie Hoewer, oder, es fühle sich an wie American Psycho. Man übertreibt nicht, wenn man davon spricht, dass um Schizoid Man ein kleiner Hype losbrach. Gerechtfertigterweise? Die erste Auflage ist laut Verlag bald ausverkauft (hier noch bestellen!). In einer Folge »Von rechts gelesen« nahmen Philip Stein und Volker Zierke das Buch bereits unter die Lupe, äußerten Kritik, stritten über die Themen des Werks. Was ist also abschließend von Schizoid Man und seinem Autor, dem 22jährigen Sebastian Schwaerzel, zu halten? Volker Zierke hat ihn kurzerhand – und gewohnt passiv-aggressiv – befragt.

»Ich bin Faschist«, äußert der Erzähler in Ihrem Roman Schizoid Man. Herr Schwaerzel, sind Sie auch ein Faschist?

Dem Erzähler taugt die Selbstdarstellung als Faschisten glaube ich mehr als der Faschismus selbst. Er wäre gerne Faschist, weil der Grundethos vom Bücherverbrennen, Kampfstiefel tragen und Fensterscheiben einwerfen universal attraktiv für junge Männer ist, die nichts Besseres zu tun haben. Zu der Kategorie zähle ich mich ganz offen, deswegen kann man mich gerne Faschist nennen, wenn das einem Spaß macht. Ich glaube, wirklicher Faschist wäre man aber erst, wenn man sich von irgendeinem Schwanz sagen lässt, dass es gefälligst jüdische Bücher sein sollen, die man verbrennen soll oder die Fensterscheiben von Asylanten, die eingeworfen werden sollen. Dafür bin ich Gott sei Dank nicht blöd genug und irgendwelche homoerotischen-neurechten Arno-Breker-Fantasien beeindrucken mich da auch nicht wirklich, um mich in so ein Lager zu stellen.

Wenn Ihnen die Neurechten und Faschisten zu blöd und schwul sind, hätten Sie ja auch bei Klett Cotta oder einem anderen Mainstream-Verlag veröffentlichen können.

Für den Mainstream ist das Buch anscheinend zu albern. Für die Neurechten reicht‘s. Aber im Ernst: Ich glaube nicht, dass man dem Castrum Verlag gerecht wird, indem man ihm ein rechtes Profil gibt. Das entspricht weder meiner Vorstellung noch, soweit ich weiß, der meines Verlegers Ledio Albani. Für mich selbst gesprochen, hoffe ich sehr, dass ich jeden enttäuscht habe, der sich von diesem Buch ein Manifest für irgendeine politische Bewegung erhofft hat.

Dafür wäre es wohl zu oberflächlich. Was ja, wenn ich das richtig verstehe, auch nur Ihre Ansichten widerspiegelt. Aber lassen Sie uns doch mal über den Inhalt des Buches sprechen. Obschon mit dem Titel »21st Century Schizoid Man« auf die nahe Zukunft verweisend, blieben die musikalischen Vorlagenlieferanten der Rockgruppe King Crimson in ihrem zugehörigen Text in der Welt von 1969 verhaftet. »Innocents raped with napalm fire / Twenty first century schizoid man« heißt es da. Erinnert an den Vietnamkrieg, das Thema dieser Generation. Was sind die Themen Ihres »21st Century Schizoid Man«?

Der Vietnamkrieg hat nie aufgehört. Das 20. Jahrhundert hat mit dem Guerillakrieg eine universale Heilsgeschichte für das 21. Jahrhundert geschrieben. Genauer gesagt wandelt sich der Mythos des frühen 20. Jahrhunderts, der des großen Krieges, erst zum Mythos des Kleinkrieges und im 21. Jahrhunderts des Kleinstkrieges. Wenn man so will, ist der Erzähler Partisane eines Krieges, der so radikal personalisiert ist, dass er noch nicht mal Raum für ein schlüssiges Ziel oder Feindbild hat. Letzten Endes ist mein Schizoid Man ein Terrorist, das jedoch in seiner ureigensten Form, da ihm jede Ideologie oder Zielsetzung fehlt.

Vielleicht hatte der Erzähler das Pech als Deutscher geboren zu werden. Als Russe oder Ukrainer hätte er vielleicht seinen großen Krieg finden können.

Ich glaube nicht, dass der Wunsch nach einem großen Krieg, so verlockend er auch sein mag, jemals wirklich authentisch ist. Bei meinem Erzähler wird schnell deutlich, wie widersprüchlich diese Todessehnsucht ist. Sie immer wieder zu bespielen, ist wie eine Selbstbefriedigung, aber letzten Endes wird doch deutlich, wie sie immer wieder aufgeschoben, verlagert, durch Ablenkungen verzögert wird, fast, als wäre die Fantasie befriedigender als die Realität selbst.

Im Gegenteil würde ich sagen, er befindet sich in einem beispiellosen Idealzustand, in der er morgens ins Fitnessstudio gehen kann, sich am Abend nach Belieben misshandeln lassen oder einen trinken gehen kann und bei Bedarf zum selbsternannten Märtyrer werden darf.

Und im Hintergrund dudelt King Crimson. Warum eigentlich nichts Zeitgenössisches? Billie Eilish vielleicht?

Der Bezug zu King Crimson selbst ist schon eine Übertragung, er kommt an einen Zoomer wie mich oder den Erzähler ja nicht direkt, sondern durch Kanye West, der den Titel selbst zeitgenössisch wieder aufgreift.

Oh, achso. Das wusste ich nicht. Ich hasse Rap. Eigentlich wollte ich da jetzt ein Generationen-Ding draus machen, aber Google verrät mir, dass der erwähnte Kanye West-Song auch schon wieder 14 Jahre alt ist. Vielleicht ist das Ganze dann tatsächlich kein Generationen-Ding. Mein Kollege Philip Stein war ja im Podcast der Ansicht, Schizoid Man sei eine Art Zoomer-Manifest. Martin Sellner äußerte sich jüngst in ähnlicher Weise.

Davon abgesehen, dass ich grundsätzlich wenig von der mir vorangegangenen Generation oder deren Einschätzungen halte, glaube ich, dass es sehr naheliegend für jemanden außerhalb meiner Generation ist, jedes Werk das erkennbar aus der Perspektive meiner Generation geschrieben ist, zu einem Manifest meiner Generation zu erklären.

Würde ich ein Zoomer-Manifest schreiben wollen, müsste mein Protagonist wohl gleichzeitig kodeinabhängig, abstinenter salafistischer Konvertit, nicht-binär, Anarcho-Kapitalist, pornographiesüchtig, vegan, karnivor und Soundcloud-Rapper sein. Ich kann nur hoffen, irgendwann wirklich geisteskrank genug zu sein, um so ein Manifest zu schreiben.

Witzig wäre es vermutlich. Glauben Sie, das würde jemand lesen wollen?

Ich glaube, ich würde es selbst nicht lesen wollen, weil ich mich dafür selbst zu sehr aufs Korn nehmen müsste. Ich fürchte aber, dass einige, ähnlich wie bei Schizoid Man, schon Gefallen an diesen Karikaturen meiner oder mir ähnlicher Charakterzüge finden würden.

Wieso fürchten Sie das?

Meiner Ansicht nach lauert auf jeden Autor die Gefahr früher oder später, an seinen Figuren gemessen, eintönig zu wirken oder – im Gegenteil – selbst zu einer Karikatur seiner Figuren zu werden.

Interessant. Ein Autor, auf den das tatsächlich zutrifft (oder die Leser dachten, es würde zutreffen …), ist Christian Kracht. Lesen Sie den?

Nein. Die meisten zeitgenössischen Autoren sind mir zu alt oder nicht tot genug.

Dafür hat Schizoid Man aber einen überraschend ähnlichen Sound – nicht nur wie Kracht, auch und vor allem wie Bret Easton Ellis. American Psycho, Axtmörder, »I have to return some video tapes«. Dachte eigentlich, Sie hätten sich da bedient. Also, geklaut.

Bret Easton Ellis war tatsächlich ein großer Einfluss, entgegen meiner Devise, wie ich zugeben muss.

Wie lautete denn die Devise?

Grundsätzlich sollte der Versuch sein, sich von dem Ballast der Millennial-Generation und deren selbstgerechten Zynismus zu lösen. Bret Easton Ellis schreibt brillante Satire, die nicht ernst gemeint ist und nicht ernst genommen werden soll. Ich lege es eher darauf an, Dinge zu schreiben, die kompromisslos ernst gemeint sind, aber in keiner Weise ernst genommen werden sollen.

Erklären Sie das mal bitte.

Wenn ich über die Todessehnsucht, Selbstverstümmelung oder Selbstmordfantasien schreibe, aus reiner Lust diese satirisch zu verklären, ist es belanglose Unterhaltung, in der ich nichts darin veräußere.

Wenn ich sie in voller Ernsthaftigkeit schreibe, um damit Anerkennung oder Sympathie zu verdienen, ist das nichts als Masturbation für meine eigene Obszönität. Stattdessen will ich über diese Dinge in voller Ernsthaftigkeit und Überzeugung schreiben und den Leser dazu auffordern, nicht über die Überzeichnung, sondern diese Ideen als solche zu lachen.

Hat Schizoid Man noch einen anderen Auftrag, als uns zum Lachen zu bringen?

Einem Buch einen »Auftrag« zu geben, scheint mir sinnlos; für eine weltverändernde Charakterwandlung empfehle ich synthetische Drogen.

Andersherum: Bringt Ihnen das Schreiben über Transensex, Selbstverstümmelung und Selbstmordfantasien etwas?

Nein, ich habe einfach zu viel Zeit und zu wenig Selbstwertgefühl.

Dann könnten Sie ja in Kürze Ihr neues Buch vorlegen.

Da die erste Auflage beinahe aufgebraucht ist, ist wohl schon nächstes Jahr damit zu rechnen.

Wieviel Transensex, Selbstverstümmelung und Selbstmordfantasien dürfen wir dann erwarten?

Mehr (Selbst-)Mord, weniger vom Rest.

Unendlich spannend. Zum Abschluss, nur mal angenommen, ich wäre in derselben Lage wie Ihr Protagonist und wäre kurz davor, mich in die Luft zu sprengen: Was würden Sie mir (stattdessen) raten?

Have fun and be yourself✨💞

Ich versuch’s. Herr Schwaerzel, vielen Dank für das Gespräch!

2 Gedanken zu „»Geisteskrank genug für ein Manifest«? – Interview mit Sebastian Schwaerzel“

  1. ich habe das Buch in nur einem Tag und einer Nacht gelesen, so fesselte es mich. Es erinnert mich stilistisch an Fight Club von Chuck Palahniuk. Unglaublich, dass der Autor erst 2002 geboren und damit sogar jünger als die Hauptfigur ist.

  2. Ist doch nur ein paar Seiten stark, natürlich liest man es in einer halben Stunde.

    Der Schwanzel scheint mir aber zu oberflächlich und selbst sehr zynisch zu sein. Ich hatte mich, als „millennial“, 2010 erhängt und es nicht geschafft. Kam bloß in die Klapsmühle und muß weiterleben, zumal ich seit sieben Jahren an Christus Jesus glaube.
    Wenn ich es nicht täte, tötete ich mich auf der Stelle.

    Wieso also soll ich ein Buch lesen, daß sich über Selbstmord lustig macht? Was soll auch die Herrenkleidung? Dachte, im Band wird George gelesen. Das riecht alles nach 4chan-Niveau.

    Außerdem ist Pornographiesucht — das kapiert auch der Sellner im neuesten Sezession-Artikel nicht — nichts anderes als Sucht nach Dopaminauschüttung, und in der Tat gibt es hier kaum Schlimmeres. Kokain vielleicht. Dennoch sind auch Familienväter betroffen, Ehen kriseln oder werden deswegen gar geschieden. Was grauenhaft und nicht witzig ist, da nicht nur der Ehebund gelebt werden sollte, da GOtt, Jesus Christus, ihn einsetzte, sondern Kinder darunter leiden.

    Wenn die restlichen Bücher dieses Verlags ähnlich obszön sind, dann gute Nacht. Erinnert mich an Gómez Dávila:

    „Bedauern wir weniger die Obszönität des heutigen Romanciers als sein Unglück.
    Wenn der Mensch unbedeutend wird, werden Kopulation und Darmentleerung zu bedeut enden Handlungen.“

    Außerdem, Frau Kositza, es heißt wofür! Wofür! Wofür! Nicht „für was“.

    Und dann machen die _mich_ an?!

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