Wer sich mit dem italienischen Kommunisten Antonio Gramsci auseinandersetzt, wird unweigerlich nicht nur mit den Begriffen der »Hegemonie« oder der »Zivilgesellschaft« konfrontiert, sondern lernt, dass Gramsci, mit der Literaturwissenschaftlerin Birgit Wagner gesprochen, »als einer der Gründerväter der Cultural Studies« gilt. Dieser Ansatz lässt sich womöglich für das 21. Jahrhundert dahingehend entwickeln, dass die Signifikanz einer popkulturellen Sphäre für das eigene intellektuelle Milieu hervorgehoben werden kann.
Dieser Schritt wäre angebracht, denn jede zeitliche Epoche produziert ihr eigenes Material, wie es Wolfgang Fritz Haug beschrieb, um eine »neue Notwendigkeit, in der Auseinandersetzung den Weg durch eine neue Wirklichkeit zu suchen«. Eine sich immer noch selbstkritisch formende »Neue Rechte« könnte bei jener notwendigen Suche ihre eigene »Filterblase« verlassen, um ein »Laboratorium« zu betreten, so Mario Candeias von der Rosa Luxemburg Stiftung, welches einen Einblick »in die Genealogie eines neuen Denkens, das immer wieder neu ansetzt, revidiert, weiter entwickelt wird, immer wieder neue Anschlüsse erlaubt«. Damit könnten die »vielgestaltigen und teilweise unvollendeten Brüche«, welche die Gefängnishefte hinterließen und an die das Autorenkollektiv von »Gramsci lesen« erinnert, endlich vertieft und unter anderen Vorzeichen neu – mit neuen Inhalten – aufgeladen werden.
Denn während es Armin Pfahl-Traughber kurios erscheinen mag, dass man sich aufseiten der »Neuen Rechten« auf Gramsci beruft und diesen »mit anderen ideologischen Vorzeichen übernommen« hat, kann es eben nicht im Interesse einer »Neuen Rechten« sein, konservative – auch stellvertretend für bürgerliche/liberale – Reflexe eines dogmatischen Verständnisses von Kommunismus (»Philosophie der Praxis«), dem auch Pfahl-Traughber zu erliegen scheint, zu bedienen, was unweigerlich verdeutlichen würde, dass man in jener engen Sichtweise, der von Haug beschriebenen »Sackgasse«, steckengeblieben ist und damit dem Denken von Gramsci zutiefst widerspricht. Zwar ist Gramscis Denken durchaus »auch für Nicht-MarxistInnen kommensurabel und gesellschaftlich anschlussfähig«, so Mikiya Heise und Daniel von Fromberg. Doch geht es keineswegs darum, die Verbindung Gramscis zum Kommunismus »wegzuretuschieren«, ganz im Gegenteil.
Vielmehr sollte es wieder darum gehen, den diskontinuierlichen Ansatz von Alain de Benoist (der kein »Anti-Marxist« ist, wie ihm auch im Widerspruch (Heft 68) durch einen Rezensenten des Bandes Marx von rechts attestierte wurde: »Tatsächlich weisen seine Erläuterungen zu Marx’ Kapital große Sachkenntnis und vorbehaltlose Zustimmung auf«) unter den herrschenden Bedingungen wiederzubeleben, weil dieser unter neoliberalen Trümmern begraben wurde – durch jene Konservativen, die »die Bedeutung von Gramsci nicht erkannt« (Benoist) haben und sich eher als antikommunistische »Phrasendreschmaschinen« (Gramsci) verwirklicht sehen. Diese gedenken nämlich keineswegs, die herrschenden Verhältnisse der »liberal-demokratischen Hegemonie« (Slavoj Žižek) anzutasten, sondern wollen eher in deren Schatten überleben und begnügen sich mit irrelevanten Adjustierungen. Die Festigung jener Verhältnisse und die damit verbundene ökonomische Durchdringung der Lebensverhältnisse werden jedoch nicht nur von Konservativen geschützt, sondern mittlerweile auch von einer linksliberalen Elite – jener urbanen, mobilen, kosmopolitischen, »ökologisch« bewussten Gruppe. Diese hat sich der »List der kapitalistischen Gesinnung« ergeben, so Diego Fusaro, weil sie »in der Zwischenzeit vom Kampf gegen das Kapital zum Kampf für das Kapital übergelaufen sind und damit einen hundertprozentigen Verrat an Marx’ und Gramscis Wort und Geist begangen haben.« Dieser »Verrat« ist ein Resultat der »tragische[n] Verwechslung von Kommunismus und Konsumismus« (Susann Witt-Stahl), in deren Verlauf man Gramsci gegen Coca-Cola und Snickers tauschte. Konservative und Linksliberale sind somit der »Kollektivwille« der herrschenden Hegemonie, die stets auf ihre Art und Weise helfen, diese weiter auszubauen.
Dass ein Neubeginn möglich ist, zeigte der Ansatz Marx von rechts. Die folgende skizzierte Verknüpfung von Gramsci und Popkultur, deren Anspruch auf Vollständigkeit genauso wenig erhoben wird wie ein endgültiges Ergebnis, wird versuchen, einen weiteren Mosaikstein in eine »Neue Rechte« einzufügen, ohne dass diese ihr skeptisches Menschenbild verliert oder durch jene Unfähigkeit, welche Linksliberale und Konservative permanent (re-)produzieren, substituiert. Es kann jedoch keine Wiederauflage der »Hegemonialtheorie« werden, welche sich »an der Elastizität einer globalen Wirtschaft« »totgelaufen« hat, wie es Nils Wegner in der Sezession (Heft 95) treffend bemerkte. Denn schließlich gilt: »Die Neue Rechte folgt nicht der alten Linken«, so Benedikt Kaiser in Marx von rechts, und natürlich auch nicht irgendwelchen verstaubten »konservativen« Ansätzen eines »Gramscismus«.
Erkundung des vorliegenden Terrains
Gramsci schrieb in den Gefängnisheften: »Die Wahrheit ist, daß man nicht die Kriegsform wählen kann, die man will, es sei denn, man verfügt sofort über eine erdrückende Überlegenheit über den Feind«. Da diese »Überlegenheit«, die als »schweigende Mehrheit« ausschließlich in den Köpfen einiger herumspukt, nicht vorliegt, sollte zu Beginn stets »eine Erkundung des Terrains« (Gramsci) erfolgen. Das heutige Deutschland verfügt im klassischen Sinne immer noch über eine ökonomische »Basis« und einen »Überbau«, bestehend aus einer politischen Gesellschaft und einer Zivilgesellschaft, welche immer noch durch Hegemonie gesichert und durch Zwang »gepanzert« wird. Dies hat sich natürlich im Laufe der Jahrzehnte weiterentwickelt, wie auch Gramsci bemerkte, dass »die ökonomische Struktur sich dermaßen verändert hat, daß die ökonomische Betätigungsweise sich notwendig verändern muß, um sich der Struktur anzupassen« (Stichworte: Digitalisierung, Nanotechnologie, Robotik). Die ökonomischen Produktionsverhältnisse an der »Basis« verfügen auch dank des »Überbaus« durch erlernte Flexibilität über eine Resistenz gegenüber Krisensituationen, um so schlussendlich die strukturelle Ausbeutung der Subalternen beizubehalten und immer weiter zu perfektionieren bzw. stetig zu wachsen. Zumal auf diesem originären Boden der ökonomischen Verhältnisse immer neue »Gehilfen« erwachsen, die durch ihre Funktion zur Beibehaltung jener herrschenden Verhältnisse beitragen, indem sie in der Alltags- und (pop-)kulturellen Sphäre der Zivilgesellschaft ein System aus schützenden Kasematten um den Staat legen, dort u. a. den Konsens produzieren und dabei in Verbindung mit der politischen Gesellschaft, also jener Sphäre der Parteienpolitik, stehend Gesetze zum Schutz der »Basis« erlassen.
Trotzdem ist gleichzeitig auch jene Zivilgesellschaft selbst Staat, auch unter Berücksichtigung jener Organe wie Polizei und Verfassungsschutz, die wie der Konsens eine passive oder aktive Zustimmung erzwingen können, die aber vielmehr dem Staat zugeordnet werden. Wobei der (staatliche) Zwang eher dann ein Instrument ist, wenn der herrschenden und führenden Gruppe ihre Stellung langsam zu entgleiten droht, weil sich gewisse Gruppen partout nicht einbinden lassen wollen und mit jenen Zugeständnissen, die nie das Wesentliche bedrohen, nicht zufriedengeben. Allerdings wird dabei das Ziel verfolgt, schnellstmöglich wieder zum Konsens zurückzukehren. Die Zivilgesellschaft greift auch heute auf antifaschistische Gruppen zurück, welche die Subalternen nicht »nur beschimpf[en] als im besten Fall tumb und unaufgeklärt, meist aber schlicht als rechtsradikal und rassistisch« (Nicola Liebert), sondern gegenüber diesen auch vor der Anwendung physischer Gewalt nicht zurückschrecken, ohne dass jene Anwendung nennenswerte gesellschaftliche Folgen für diese (staatliche) Gruppe hätte, eher werden noch finanzielle Mittel bereitgestellt oder es wird gleich mit den staatlichen Behörden kooperiert. Diese enge Verbindung brachte die Mannschaft um die Bahamas sogar dazu, von einer »Staatsantifa« zu sprechen. Die hilflose Reaktion von Konservativen, sich selbst als die wahren Antifaschisten zu inszenieren, kulminiert in ahistorischen Begriffen wie »SAntifa«, »rote SA« oder »Rotfaschisten« – armer Robert Brasillach! – für die Mitglieder der Antifa und liefert beiläufig ein weiteres Indiz für den herrschenden Konsens eines siegreichen Antifaschismus. Weiterhin unterliegt der Staat und somit auch die Zivilgesellschaft einer Trans- und Internationalisierung, was neue Möglichkeiten der Ausformung einer europäischen Perspektive bietet und die Vielschichtigkeit der herrschenden ökonomischen Problematik erweitert, auf die angemessen reagiert werden sollte.
So weit, so bekannt – und doch gern vergessen. Es wurde bereits deutlich, Zivilgesellschaft wird vom Staat nur in »methodologischer Hinsicht unterschieden«, selbiges gilt somit auch für die politische Gesellschaft, so Harald Neubert. Dadurch dringt eine hegemoniale Artikulation der politischen und ökonomischen auch in die Sphäre der Zivilgesellschaft vor, womit »jede dieser Kombinationen […] durch einen eigenen organisierten politischen und ökonomischen Ausdruck repräsentiert werden« kann (Gramsci). Die Neigung, ob ein »Ausdruck« mehr zum kulturellen oder »stärker ökonomischen argumentierenden Diskursgenres« tendiert, so Oliver Marchat, ist jedoch durch »die jeweilige relationale Nachbarschaft« begründet, als durch den unmittelbaren »topographischen Ort«, also jener Sphäre, die als Ökonomie oder Zivilgesellschaft bezeichnet werden könnte. Der »topographische Ort« unterliegt durch seine nachbarschaftliche Beziehung sehr stark einem neoliberalen Diskurs, der durch sein ideologiefreies Erscheinungsbild die ökonomische Rekodierung nicht offensichtlich transportiert. Den Subalternen wird in diesem Diskurs keine »falsche Wahrheit vorgaukelt, sondern greift bestimmte Elemente emanzipativ kodierter Subjektivierung […] auf und ordnet […], indem er sie mit anderen dominanten ökonomischen Praktiken verbindet, das soziale Feld auf neue Weise«, so Stephan Adolphs und Serhat Karakayali. Sprich: Im Sinne des Amazon-Slogans »Work hard. Have fun. Make history« wird den Ausgebeuteten suggeriert, sie könnten durch ihre harte Arbeit, die den Erwerb von Kinkerlitzchen ermöglicht, Teil von etwas Großem sein, obwohl sich die soziale Schieflage stets zu ihren Ungunsten verschiebt. Konservative und Linksliberale haben an der Veränderung kein nennenswertes Interesse und tragen zur Reproduktion der herrschenden Verhältnisse bei, indem sie ihre Verachtung gegenüber den heimischen Subalternen ausdrücken und/oder deren Lage ignorieren, weil man sich etwa auf das Fremde fokussiert oder den Konsum eben als Zeichen der Freiheit begrüßt.
Ein »prole drift« zum Schließen der Lücken
Trotzdem sollte man keineswegs in alleinige ökonomische Betrachtungen abgleiten, um so zu versuchen, die herrschenden Verhältnisse zu erklären. Es sollte stets um die kulturelle Perspektive ergänzt werden, was natürlich auch umgekehrt gilt, also ganz in Tradition von Gramsci. Wo die kulturelle Sphäre in der Zivilgesellschaft offensichtliche Lücken aufweist, sollte dieser um Diskurse des kapitalistischen Verwertungsprozesses ergänzt werden. Dabei kann dieser vor uns liegende Komplex, wo »Basis« und »Überbau«, genauso wie seine erweiterten Sphären (»integralen Staat«), die dazwischen oszillieren, ein dialektisches verzahntes Miteinander bilden, einer einzelnen Betrachtung unterzogen werden, wobei lediglich ein kurzfristiges methodisches Ausblenden stattfindet, ohne etwas gänzlich zu removieren. Dies ermöglicht die Fokussierung auf eine kulturelle Sphäre und dort auch auf (Mikro-)Ebenen ohne die dortigen ökonomische und politische Einflüsse zu vergessen, sondern eben um die vorhandenen Lücken ergänzt.
Diese Lücke möchte ich in der popkulturellen Sphäre füllen, weil »die Phantasiewelt im intellektuellen Leben des Volkes eine besondere märchenhafte Konkretheit annimmt«, so Gramsci, der sich in seiner Zeit ausgiebig mit dem Genre des Feuilletonromans beschäftigte und sich nicht nur mit Kritik aufhalten, sondern zum Kern der Bedeutungsbildung durchdringen, also jene Lücke füllen bzw. den Komplex erweitern wollte. Bereits Umberto Eco beschäftigte sich mit Der Mythos von Superman und vermerkte dort süffisant: »Superman ›von rechts‹ gelesen: Warum geht er nicht hin und befreit sechshundert Millionen Chinesen vom Joch Maos?« Schließlich könne man von jemandem wie Superman, so Eco, »wohl die Umwälzung der politischen, ökonomischen und technologischen Ordnung der Welt erwarten«. Superman, einer der ältesten Comic-Helden, wurde in dem Essay von Eco in Relation zu den herrschenden Verhältnissen gesetzt und nicht als bloßer Gegenstand der Popkultur betrachtet. Somit wurde eine Funktion erfüllt. Dies würde einen Rechten weiter bringen, als immer noch den »prole drift«, der eine »Faszination vom Schiefen und Verkehrten« des »Linken« verkörpert, abzulehnen (Rolf Peter Sieferle). Zumal die Comicforschung betont: »Ohne zu berücksichtigen, dass Comics einem genuin heteronomen Bereich der Kulturproduktion entwachsen sind, lässt sich etwa die Entwicklung des Mediums und die damit einhergehende Ausdifferenzierung des Comic-Feldes kaum verstehen.« Ein Comic ist mehr als eine Bildgeschichte, und jenes Feld sollte nicht brachliegen gelassen werden, sondern ruhig mit »Schützengräben« (Gramsci) durchzogen werden, um eine weitere »Festung« zu umzingeln. So könnte die »organische Funktion« verwirklicht werden, seine Inhalte in Sinne der Subalternen auszudehnen, anstatt sich in der Rolle als »dem Volk [dem Proletarier] gegenüber etwas Losgelöstes, in der Luft Hängendes«, zu gefallen (Gramsci). Sprich, die herrschenden Verhältnisse werden auch in diesem Bereich kritisiert, bei gleichzeitiger Vermeidung, deren Spiel mitzuspielen, um stattdessen den eigenen Diskurs voranzubringen.
Die Helden des Kapitalismus
Der Gegner thront nämlich ziemlich ungeniert. So resümiert z. B. Peter Lau im Comicmagazin Alfonz (1/2020) über Superhelden. Den Amazon-Chef Jeff Bezos erklärt er zum Lex Luthor, Finanzgenie und Erzfeind von Superman, der »die Welt beherrschen« will und »dafür über Leichen« geht. Könnte man darin noch eine Kritik an der kapitalistischen Wirklichkeit erspähen, so kann man doch einwenden, beide, reale wie fiktive Person, wollten die Welt auf ihre Art verbessern. Bezos erklärte, sein Konzern sei ein »sehr guter Arbeitgeber in Deutschland«, und Jörn Boewe und Johannes Schulten vermerken, dass Amazon im »ideologischen Sinne kapitalistisch« ist und dabei »wie kaum ein anderes den ›Geist‹ des Kapitalismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts« verkörpert, indem der Konzern u. a. den »schnellen Einkauf« als individuelle »Selbstverwirklichung propagiert«. Also genau jener Individualismus, der sich über seine Konsumidentität definiert und zum Ideal der Gesellschaft erhoben wurde. Lex Luthor nimmt hingegen sogar einmal Supermans Rolle ein und schließt sich ein andermal dem Superheldenteam »Justice League« an; er verkörpert damit ebenfalls einen Guten, vermögend ist er ohnehin. Doch während dieser von Lau als Schurke aufgebaut wird, wird für ihn Carola Rackete – die in wenigen Jahren keiner mehr kennen dürfte und die beliebig gegen andere ihres Kalibers ausgetauscht werden kann – zu einer Superheldin: »Aquaman ist jetzt Aquawoman, verkörpert von Carola Rackete.« Es wird deutlich, dass die vermutete Kapitalismuskritik nur in seichten Gewässern schippert, weil Leuten wie Lau für den Tiefgang das nötige theoretische Rüstzeug fehlt, dieser aber innerhalb von Alfonz die Funktion erfüllt, den herrschenden Konsens, Rackete sei eine »Heldin« und der Amazon Chef schlecht, zu reproduzieren. Den Synergieeffekt der beiden sieht er nicht und kann somit nicht verstehen, welche Funktion Rackete erfüllt.
Schaffen wir mal eine Allegorie und paraphrasieren dazu Eco: Rackete neoliberal gelesen. In der Comic-Story Throne of Atlantis überfluten die Atlanter amerikanische Städte, und dabei ertrinken unzählige Bürger. Aquaman stellt sich mit seiner Frau schweren Herzens gegen sein Volk und seinen Bruder, um die Städte zu retten. Rackete flutet indessen die Städte mit den »Verschiebemassen« der globalen Containerterminals bei gleichzeitiger Verachtung des »Eigenen«, weil »das bloße Insistieren auf multikulturalistischer Offenheit die perfideste Form eines gegen die Arbeiter gerichteten Klassenkampfes« ist (Žižek). Diese »Verschiebemasse«, mit denen die europäischen Zivilgesellschaften geflutet werden, dienen schließlich dem Lex Luthor dieser Welt, wobei gewisse Gruppen bei Amazon aufgrund der »multikulturalistischen Offenheit« problemlos eingebunden werden können: Der Konzern gewährt »zusätzliche Pausen für muslimische Mitarbeiter*innen während des Fastenmonats Ramadan«, so eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Während Konservative ihre Ablehnung ohnehin ausschließlich auf jene Gruppe und nicht auf die Struktur fixieren, ummanteln indessen Linksliberale die Struktur durch imaginäre Zuschreibungen gewisser Fähigkeiten jener Gruppe in Kombination mit einem staatlich gebilligten Antifaschismus, dessen sich auch Konservative bedienen.
Selbst David Schneider und Justus Wertmüller von der Zeitschrift Bahamas bemerken, dass es »die deutsche Staatsantifa im Zusammenspiel mit den postmodernen Rackets [ist], die bereits das Bestimmen und Unterscheiden, das Äußern von Vorlieben und Abneigungen, mit wem man möchte und mit wem nicht, pauschal unter den Verdacht der Ausländerfeindlichkeit oder des Rassismus stellen.« Mit diesem Postulat wird in der kulturellen Sphäre die ökonomische Verwertbarkeit begründet, welche man nicht unterschätzen darf. Dies ist auch der einzige Unterschied, der ökonomische Wert, den beide Gruppen der »Verschiebemasse« einräumen: Die einen nehmen alles, die anderen wollen nur die Rosinen. In beiden Fällen bleibt die Struktur unangetastet. Denn jene »Verschiebemasse« will »ein Stück vom Kuchen abhaben« und erwartet, »die Vorzüge der westlichen Wohlfahrtsstaaten nutzen zu können, ohne ihren eigenen Lebensstil zu ändern« (Žižek). Dies wird auch gestattet. Sie trägt somit unvermindert zum ökonomischen Wachstum zulasten anderer und der Umwelt bei. Dass ihre Identität dabei gleich mit im Onlinemarktregal verramscht wird, ist ein zusätzlicher Gewinn für den hiesigen Absatzmarkt. Diesen beschützt nun mal Rackete und flutet ihn stetig mit neuen »Konsum- und Freizeitgermanen« (Thor v. Waldstein), wobei sie trotz ihrer gegenteiligen Annahme die Umwelt belastet.
Tatsächlich könnte Rackete so ins Superhelden-Modell von Stephan Ditschke und Anjin Anhut gequetscht werden, weil sie die etablierte Ordnung, dies heißt die herrschenden Verhältnisse schützt, wie es die Helden tun. Diesen Schutz gewährt sie jedoch nicht ewig, weil für Rackete irgendwann in Deutschland »zu viele Menschen auf zu engem Raum leben«, so ihre Äußerungen in einem Interview, und sie sich vorstellen könnte, »Chile oder Kasachstan« zu belästigen. Dort könnte die fortwährende Reproduktion des kapitalistischen Elends weitergehen; was an alldem (super-)heldenhaft sein soll, wissen vermutlich Konservative und Linksliberale dann doch besser. Kritik an diesem Prozess würde man einfach verunglimpfen, weshalb diese auch nicht in einem Comicmagazin auftaucht und in Alfonz (2/2020) ein Autor eher noch fordert, »sich solidarisch gegen Rechts zu stellen«.
Schweifen in die Ewigkeit oder ein ewig formbarer Keil?
Solch eine Allegorie schafft es, »die trostlose Monotonie zu durchbrechen« (Gramsci), ohne sich dabei für sämtliche Dummheiten zu begeistern. Dies sollte man stetig anderen überlassen; auch wenn wir ebenfalls nur ein Produkt dieser Verhältnisse sind und in diesem System agieren, so sollte unsere Funktion deutlich anders sein. Schließlich gäbe es genügend geeignetere Ansätze für eine Kritik an der ökonomischen Kommerzialisierung des Inhalts von Comics, wenn Batman z. B. für Snickers wirbt und damit wiederum andere Zielgruppen erreicht.
Diese Kritik ließe sich ebenfalls mit der Umwelt- und der Konsumfrage verbinden, weil der Mars-Konzern (vertreibt Snickers) schreibt: »Das Risiko für die Resilienz und Nachhaltigkeit unserer Lieferkette und die Zukunft unserer Landwirte hat bei uns oberste Priorität.« Die Nachhaltigkeit der Lieferkette ist den Betreibern natürlich wichtig, weil sie die Absatzmärkte und Konsumenten brauchen und diese eher in Europa zu finden sind. Dafür werden, so der Broschüre Chocolate’s Dark Secret zu entnehmen, erhebliche Umweltschäden u. a. in der Elfenbeinküste in Kauf genommen, wo die natürlichen Schutzgebiete und Nationalparks abgeholzt, dort lebende Arten vertrieben und die autochthonen Bauern ausgebeutet werden – und Batman belächelt dies alles, obwohl er Verbrecher bekämpfen will.
Denn trotz oder gerade wegen der angelegten »Schützengräben« kann es nicht darum gehen, sich blind an dem herrschenden Diskurs innerhalb der Zivilgesellschaft mit ihrem (erzwungenen) Konsens und so wie Konservative und Linksliberale am »Nullsummenspiel« (Oliver Marchart) der ewig wiederkehrenden Herrschaft zu beteiligen, nicht nur, weil es gerade für Letztere »aus der Mode gekommen [ist], sich mit dem politischen Gegner inhaltlich auseinanderzusetzen« (Nicola Liebert) – natürlich gibt es vereinzelte löbliche Ausnahmen –, sondern weil die »Festung« tiefschürfend umgekrempelt werden sollte, was aber nur geht, wenn man dazu gedanklich in der Lage ist. So sollten in unserem popkulturellen Diskurs – keineswegs nur dort – zukünftig der Funktion nach alternative Ansätze herausgeschält werden, z. B. die Veränderungen der Produktionsverhältnisse, Formen und Gestaltung der Arbeit(szeit) oder auch rätetechnische Konzepte. Ein Verständnis dafür zu schaffen, erfordert jedoch Geduld, und dabei gilt Gramscis inflationär zitiertes Diktum: »Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens«, trotz zahlreicher Veränderungen ewig.
(Autor: Franz Rheinberger)
Ein Gedanke zu „Gramsci goes Pop“