Der Journalist und ZUERST!-Chefredakteur Manuel Ochsenreiter ist tot. Unser Autor Volker Zierke hat als Redakteur der Deutschen Militärzeitschrift lange mit ihm zusammengearbeitet. Für Jungeuropa nimmt er Abschied.
Schwer zu erreichen? Manche würden sagen, er war viel unterwegs. Auch dieses Mal, dieses erste Mal, war Manuel Ochsenreiter zu spät. Ein norddeutsches Wirtshaus, es gab Fisch, frisch aus dem See, wir saßen bereits alle am Tisch, ein Platz blieb frei, bis Manuel mit Verspätung, aber in aller Ruhe, die Wirtschaft betrat. Woher er kam, wusste ich nicht. Auch nicht, wohin er wollte. Ich kannte ihn damals noch nicht, es war der Abend meines ersten Tages bei der Deutschen Militärzeitschrift (DMZ).
Nur Geschichten hatte ich gehört, natürlich. Vielleicht war er tags zuvor erst in Berlin gelandet, um dann mit dem Auto nach Schleswig-Holstein zu brettern, vielleicht musste er nach diesem Abend wieder aufbrechen, nach Stockholm, Damaskus, Moskau, Donezk, vielleicht. Ein kurzes »Hi!«, untypisch für die Runde, und dann ging’s los, im wahrsten Sinne des Wortes. Ob Manuel es geliebt hat, von seinen Reisen zu erzählen oder ob er es musste, weil jeder, der ihn traf, es von ihm verlangte, weiß ich bis heute nicht sicher. Möglich, dass wir uns gleich so gut verstanden, weil wir in diesem großdeutschen Durcheinander doch irgendwie aus derselben Ecke kamen: Allgäu, schwäbische Mundart, ein bisschen preußisches Militär, ein bisschen rechts, ein bisschen CSU-Müdigkeit, ein bisschen Obstler. Zu behaupten, dass er mich unter seine Fittiche nahm, wäre etwas übertrieben. Dafür war er zu selten in der Redaktion. Möglich, dass ich ohne ihn immer noch ein Transatlantiker-Schwein wäre. Unbestritten, ein schlechterer Schreiberling.
Feststeht, dass seine mehr oder minder beständige Weltreise nicht nur sein Alleinstellungsmerkmal als Journalist und Mensch war, sondern dass diese intensive Auseinandersetzung mit fremden Menschen, Kulturen und Völkern vor Ort auch in der heutigen Rechten ihre Spuren hinterlassen hat. In Zeiten, in denen ungelernte Volontäre – wie ich es auch war – und freie Mitarbeiter irgendwelche Analysen aus unzähligen Kilometern Entfernung per Wikipedia zusammenschustern, setzte Manuel noch auf Berichterstattung aus erster Hand. Unvergessen sind seine »Homestories«, die so ziemlich jede Ausgabe der ZUERST! abschlossen, und in denen nicht die Politik, das Moralische oder das Informative im Vordergrund standen, sondern das Ehrliche und Menschliche. »Für einen Tag an der Seite von …« hieß es dann. Es wurden Wahlbeobachter aus dem Donezk begleitet oder Spitzenpolitiker, Künstler, Menschen, die eine zweite Seite haben, die man selten sieht. Eine »Homestory«, die erzwungen werden muss, ist keine gute und deswegen war es nur logisch, dass Manuel diese Arbeit mehr als »Abfallprodukt« seines Lebens sah, Geschichten, die mehr aus Zufall interessant sind.
Vor meinem ersten Interview als nervöser, junger Redakteur stattete er mich mit letzten Hinweisen aus – und einem Diktiergerät. »Als Journalist brauchst du ein dickes Fell«, so meinte er. Nicht nur ein dickes Fell, auch stahlharte Nerven –während des Artilleriebeschusses in der Ostukraine gleichermaßen wie in den Schützengrabenkämpfen der bundesrepublikanischen Rechten.
Wieder einmal saßen wir in seinem Büro zwischen Hisbollah-Flagge und dem Hindenburg-Ludendorff-Gemälde, es gab Cognac und Manuel erzählte, wie ein Landesvorsitzender der größten deutschen Oppositionspartei ihm eröffnete, sich nicht an das geführte ZUERST!-Interview erinnern zu können – klar, recherchieren, was die ZUERST! und wer ihr Chefredakteur ist, das können manche Arschlöcher erst hinterher. Aber dann nicht dazu stehen wollen … Lachend meinte Manuel, er hätte behauptet, das Gespräch aufgezeichnet zu haben – dagegen könne der Politiker ja dann klagen. Das Interview erschien, niemand ging vor Gericht. »Hast du das Interview tatsächlich mitgeschnitten?« – »Natürlich nicht.« Wieder Lachen, Gläser klirren, Zigarettenrauch stieg auf. So war das, im Büro zwischen Hindenburg und Hisbollah.
Im Büro war Manuel zu selten, zu meinem Bedauern. Ständig in Bewegung, können wir die Folgen, die das exzessive Reisen für ihn persönlich hatte, nur schwer abschätzen. War er mal in Schleswig-Holstein, musste man ihn schon abpassen – zu für DMZ-Redakteure unmöglichen Zeiten. Nicht ungewöhnlich, dass man ihn dann um 07:30 Uhr mit Nudelsieb in der Redaktionsküche antraf oder beim Kaffeekochen um 21:00 Uhr. Mir hat er erzählt, sein Schlafrhythmus bestünde aus vier Stunden Schlaf bis etwa 7:00 Uhr, dann einer Schaffensphase bis mittags, gefolgt von weiteren vier Stunden Schlaf bis in den Nachmittag, bevor dann abends bis spätnachts wieder gearbeitet wurde. Irgendwann folgten dann immer die obligatorischen Katzenvideos, Geopolitik-Memes und bolschewistische Geburtstagslieder, die jeder kennen dürfte, der Manuel auf Facebook gefolgt ist. Diese Art von Humor und Lebensfreude war ihm eigen. Worüber soll die nächste DMZ-Reportage gehen, Manuel? Keine Ahnung, mach irgendwas, worauf du Bock hast. In Polen treffen sich irgendwelche Irren, fahren mit T-72-Panzern durch die Botanik, abends wird gesoffen und es gibt einen »Wet-T-Shirt-Contest«? Geil, Feuer frei.
Bei all dem Spaß darf nicht vergessen werden, dass ein Gros seiner Tätigkeit dem bitterernsten Teil des Lebens gewidmet war. Bilder und Wissen von Kriegen, Tod und Leid füllten seine Festplatten, sowohl die im Rechner wie im Kopf. Manchmal erzählte er davon, wurde ganz still, wenn es um syrische Freunde ging, oder zeigte selbstgeschossene Fotos, die es aus gutem Grund nie in die Hefte geschafft hatten. Manuel hätte es womöglich einfacher haben, eine ruhige Kugel schieben können, fernab der Guerillakriege unserer Zeit, wie wir anderen das auch tun.
Als er noch Redakteur bei der Jungen Freiheit war, musste er ähnlich angefangen haben. Reingerutscht sei er, als er einmal eine Reportage über eine muslimische Gemeinde in Bremen angeleiert hatte. Offenbar war schon damals, es müssen die 1990er gewesen sein, der Drang größer, mit den Menschen vor Ort zu sprechen, statt nur über sie. Dort hätten ihn die schiitischen Moslems direkt in den Libanon eingeladen, um sich die Sache mal selbst anzusehen, wie er einmal meinte. Weg von Diskussionen über Stalingrad, hin zu Themen, die die Rechte erst noch für sich entdecken musste.
Manuel Ochsenreiter war damit einer der Ersten, einer der Ersten, der erkannt hat, dass wir auch Freunde im Ausland haben. Nicht der Erste, der konstatierte, dass die oberste europäische Zielsetzung die De-Amerikanisierung sein müsse, aber einer der Wenigen, die sich die Auswirkungen US-amerikanischer Abenteuer vor Ort angesehen haben. Er war dabei, als israelische Kampfjets einen Scheinangriff auf die Hisbollah-Position – in der er sich natürlich befand – flogen. Er ging durch die Straßen der Dörfer, nachdem der Islamische Staat von dort vertrieben wurde. Vielleicht würde ein Großteil der Rechten immer noch die Märchen vom Antidemokraten Putin und menschenfressenden Diktator Assad glauben, hätte er nicht irgendwann damit begonnen, von dort über dort zu schreiben. Es war ein guter, ehrlicher Journalismus, einer, der seinen Namen verdient. Einer, der aus der Zeit gefallen ist.
Vielleicht war er selbst aus der Zeit gefallen. Wenn ich mir heute Geschichten ehemaliger FAZ-Redakteure anhöre, wie in der »guten, alten Zeit« von einer Telefonzelle der Artikel an den Volontär im Verlagshaus diktiert wurde, dann erinnere ich mich immer an Manuel. Wenn das Telefon klingelte und sein Name auf dem Display erschien, konnte man sich nie sicher sein, von wo er genau anrief und welches krude Anliegen er nun auf dem Herzen hatte. Ich habe es immer gerne gemacht, es waren nie Diktate.
Ich erinnere mich auch an die Produktionstage der ZUERST!, bei der man gerne mal aushalf, um etwas vom Nimbus des vergessenen Journalismus abzubekommen; wenn man mal wieder den Chefredakteur nicht erreichen konnte, weil der Empfang in den weißrussischen Kiefernwäldern so schlecht war. Immer unterwegs, mit Hummeln im Arsch, improvisieren, aber machen; alles in seinem Tempo, alles in einem Fluss. Vielleicht war Manuel Ochsenreiter jemand, der es um den Willen dieses Workflows, dieses Lebensstils wegen nie lange an einem Ort ausgehalten hatte. Vielleicht ist es deswegen nur konsequent, dass er jetzt von uns gegangen ist. Deutschland, aber auch Europa, verliert damit einen hervorragenden Journalisten und messerscharfen Analysten. Ich hoffe, du findest jetzt Ruhe, Manuel.
Er wurde verfolgt von Justitia. Ja, es war konsequent das er von uns gegangen ist. Und er ist angekommen in seinem Frieden. Zu gegebener Zeit erwarten wir ein Zeichen.
Schön geschrieben. Jetzt sind Sie am Zuge. Viel Erfolg.
false flag
Besser hätte man ihn beschreiben können, danke.
Ja wiklich ein Verlust, auch für die freie, objektive und unabhängige Berichterstattung.
Was bitte schön, ist ein Transatlantikerschwein? Von dieser neuen Rasse habe ich noch nie gehört.
Ist er denn wirklich tot?
Die Nachricht über den plötzlichen Tod von Manuel hat mich sehr getroffen, zumal ich selbst letztes Jahr September das Glück hatte, einen Herzinfarkt zu überleben.
Ich selbst lernte Manuel in Mailand 2018 an einer Konferenz kennen. Die Abende mit interessanten Gesprächen und an unseren Gläsern nippend sind mir in Erinnerung geblieben. Auch sein eigener Humor. Es wurde viel gelacht an den Abenden.