Nach jahrelangem Ringen wurde dem italienischen Senat, der Länderkammer, am vergangenen Donnerstag der Ausschussentwurf eines neuen Staatsbürgerschaftsrechtes zur Beratung vorgelegt, der unter anderem die Einführung des Geburtsortsprinzips vorsieht. Protest war vorprogrammiert.
Rom, 15. Juni 2017, 10:00 Uhr.
Schon morgens brennt die Sonne heiß, wenn es Juni geworden ist in der italienischen Hauptstadt. Während sich die um diese Zeit meist betagteren Touristen noch etwas müde durch die Gassen der römischen Altstadt treiben lassen, formieren sich auf der Piazza delle Cinque Lune, einem kleinen unscheinbaren Plätzchen unweit der Piazza Navona, circa 200 Aktivisten von CasaPound Italia (CPI). Neben zahlreichen Fahnen in den italienischen Nationalfarben tragen sie große Plakate mit sich. Auf diesen zu sehen sind die Gesichter diverser islamistischer Attentäter, deren Anschlägen in westeuropäischen Städten in den letzten zwei Jahren hunderte Menschen zum Opfer fielen. »Danke Ius Soli« prangt in Großbuchstaben etwa über dem Gesicht von Salman Abedi, dessen Splitterbombe im Mai in Manchester 22 Menschen in den Tod riss. Neben seinem Namen geschrieben steht in Anführungszeichen: »Engländer«.
Nur knapp 200 Meter sind es vom Aufstellungsort bis zum Palazzo Madama, dem Sitz des italienischen Senats. Doch die italienische Polizei ist vorbereitet. Hundertschaften haben das Gebäude abgeriegelt. Wasserwerfer stehen bereit, um jeden Versuch, sich dem Gebäude zu nähern, niederringen zu können. Simone di Stefano, Vizepräsident von CasaPound und Anführer der Demonstration, weiß um die Bereitschaft der römischen Polizei, unliebsamen Protest in der Nähe von Dienstgebäuden der Republik oder der Europäischen Union mit besonderer Härte entgegenzutreten. Insbesondere dann, wenn dieser nationalorient ist.
»Sie [die Mitglieder des Senats] werden ein ehrloses, beschämendes Gesetz gegen die Nation und gegen Italien durchwinken. Dies tun sie umringt von Polizeipanzern – und das ist nur richtig. Denn wenn man so etwas beschließt, dann muss man das von Panzern abgeriegelt tun, während draußen das Volk tobt. Dieses Gesetz ist ein Gesetz gegen die Nation, ein Gesetz, das die Italiener beseitigen soll!« – Simone di Stefano zu Beginn der Demonstration.
Langsam und mit erhobenen Händen setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung. Das Ziel: die Fenster des Senatsgebäudes. Dort soll man sie hören, die Protestgesänge gegen »die Ermordung Italiens«, welche die Demonstranten intonieren. Auf halbem Wege wird es den Ordnungskräften zu bunt – sie riegeln die Straße ab. Zivil gekleidete Beamte in weißen Hemden ordern hektisch Verstärkung hinzu. Immer mehr Polizisten diverser Polizeitruppen eilen herbei, versuchen, die Demonstranten zurückzudrängen, die mit erhobenen Händen vor der Polizeikette stehen.
»Wir verteidigen die Nation, wollen keine Immigration!« –Sprechchor
Plötzlich eskaliert die Situation. Einige der Polizisten, viele bewaffnet mit Schlagstöcken und Schutzschilden, schlagen und treten wie von Sinnen auf die Menge ein. Erst als ein Wasserwerfer anrückt und in die Menge schießt, lassen die Beamten ab. Doch die Demonstranten lassen sich davon nicht abbringen. Nur wenige Meter zurückgedrängt, formieren sie sich neu. Mit einem Megafon ausgerüstet tritt Davide di Stefano, Bruder von Simone, vor die Polizeikette. Neben ihm schwenken andere Führungskader die Trikolore.
»Wir gehen hier und heute auf die Straße, denn dies ist ein Kampf um eine Grundsätzlichkeit, um unsere Identität! Das Recht, Italiener zu sein, darf niemals zum Verkauf stehen. Italiener zu sein, ist kein Zufall. […] Die Zukunft, die uns dieses Gesetz bringen wird, werden wir niemals akzeptieren!« – Davide di Stefano vor der Polizeikette.
Wieder wird es der Polizei zu bunt. Wieder schlagen die Polizisten im Furor auf die Menge ein, während der Schütze des Wasserwerfers versucht, das zentrale Großbanner mit der Aufschrift »Nein zum Ius soli« kaputt zu schießen. Doch dieses Mal gelingt es den Polizisten kaum, die Menge zurückzudrängen. Trotz wilder Stockschläge der Beamten bleiben die vorderen Reihen stehen. Simone di Stefano versucht, sich zwischen die knüppelnden Beamten und die erste Reihe zu schieben. Doch als er sich mit erhobenen Armen mit dem Rücken zu den Beamten stellt, knüppeln diese von hinten auf ihn ein. Mehrere seiner Kameraden halten schützend die Hände über seinen Kopf, werfen sich vor ihren Anführer, bis erneut der Wasserwerfer für ein Ablassen der Beamten sorgt.
Auf der anderen Seite des Senatsgebäudes protestieren derweil einige hundert Anhänger der Forza Nuova. Es kommt zu zahlreichen Verhaftungen und Anzeigen, überwiegend wegen Verstößen gegen das Versammlungsrecht sowie aufgrund herbeigeführter Verkehrsbehinderungen.
Auch innerhalb des Plenarsaals des Senats kommt es zu wüsten Szenen. Zunächst wurde die Tagesordnung dahingehend geändert, dass die Beratung über das neue Staatsbürgerschaftsrecht vorgezogen werden kann. Als der Gesetzesentwurf dann aufgerufen wird, entlädt sich die Wut einiger Vertreter der Lega Nord. Sie schimpfen lautstark in Richtung des Präsidiums, rufen »Italiener zuerst!« und »Stoppt die Invasion!«. Auf mitgebrachten Schildern steht unter anderem »NO IUS SOLI!« – kein Ius soli.
Doch dabei sollte es nicht bleiben. Als ein Senator der Lega Nord für seine Wortwahl des Saales verwiesen wird, stürmen einige Abgeordnete – gekleidet in besten italienischen Zwirn – auf die Regierungsbank zu. Es kommt zu einem wüsten Handgemenge. Ein Lega-Vertreter erleidet eine Quetschung und auch die Bildungsministerin Valeria Fedeli (PD) wird durch einen Sturz leicht verletzt und muss behandelt werden. Während Saaldiener versuchen, die aufgebrachten Politiker zu trennen, rangeln Abgeordnete der Regierungsparteien mit Oppositionspolitikern, um diesen ihre Schilder aus den Händen zu reißen. Nach rund einer Minute beruhigte sich die Lage.
Seit knapp 13 Jahren befindet sich das Vorhaben einer Modifizierung des Staatsbürgerschaftsrechtes, das in seiner jetzigen Form zuletzt 1992 geändert wurde – und sich bisher auf das Ius sanguinis, das Abstammungsrecht, stützt – im parlamentarischen Verfahren der italienischen Republik. Nun liegt das Gesetz auch dem Senat zur Beratung vor.
Aufgrund des komplizierten politischen Systems sowie nicht zuletzt aufgrund der traditionellen Instabilität italienischer Regierungen und der sprunghaften politischen Landschaft durchlief das Vorhaben der Staatsbürgerschaftsliberalisierung einen langwierigen parlamentarischen Prozess. Schon 2003 begann der Verfassungsausschuss der Abgeordnetenkammer mit der Erarbeitung eines diesbezüglichen Gesetzesentwurfs.
Fast zwölf Jahre vergingen seitdem, bis das vorläufige Ergebnis dieses Prozesses die Abgeordnetenkammer passierte. Im Oktober 2015 stimmten 310 von 459 anwesenden Abgeordneten für das Gesetz. Nur 66 Abgeordnete stimmten damals, zum Teil unter lautstarkem Protest und wütenden »Schande«-Rufen, dagegen. 83 enthielten sich, darunter die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo.
Bisher gilt, dass italienischer Staatsbürger ist, wer von italienischen Eltern abstammt beziehungsweise wer eine italienische Mutter oder einen italienischen Vater hat. Weitere Regelung gelten unter bestimmten Umständen etwa für Weisenkinder unbekannter Eltern, für staatenlose Kinder oder für jene Fälle, in denen italienische Staatsbürger ausländische Staatsbürger ehelichen.
Während die alte Fassung von 1992 im europäischen Vergleich zu den Staatsbürgerschaftsgesetzen mit der strengsten Auslegung zählt, beinhaltet die Neufassung eine ganze Reihe neuer Regelungen darüber, wer nun ein Anrecht auf die italienische Staatsbürgerschaft erhalten soll – und wer nicht. Neben der Einführung des Geburtsortsprinzips, dem Ius soli, sieht das Gesetz die Einführung eines »Kulturrechts« vor – das »Ius culturale«.
Ähnlich wie in der Bundesrepublik und anders als in den USA sieht die italienische Version des Ius soli jedoch geringe Hürden vor. Demnach erhalten Kinder ausländischer Eltern, die in Italien geboren werden, die italienische Staatsbürgerschaft, sofern wenigstens ein Elternteil seit mindestens fünf Jahren über eine permanente Aufenthaltserlaubnis für Italien beziehungsweise die Europäische Union verfügt. Dies gilt jedoch nicht für Unionsbürger. Kritiker sehen das Vorhaben der Regierung nicht zuletzt durch diesen Passus als Instrument der Legalisierung illegaler Einwanderung aus Afrika und dem Nahen Osten entlarvt. Selbst die moderate Fünf-Sterne-Bewegung betont, die Regierung wolle schlicht ihr Wählerpotential erhöhen.
Eine weitere Möglichkeit zur Einbürgerung für jene Ausländerkinder, deren Eltern nicht über eine solche Aufenthaltserlaubnis verfügen, sieht die Einführung des Ius culturale vor. So können Kinder ausländischer Eltern, die entweder in Italien geboren wurden oder vor dem zwölften Lebensjahr eingewandert sind, auch dann eingebürgert werden, wenn sie eine gewisse Schul- oder Berufsausbildung durchlaufen haben und mindestens ein Elternteil einen legalen Aufenthaltstitel besitzt. Einen weiteren Ermessensspielraum soll es laut der Neuverfassung zudem für jene Ausländer geben, die nicht unter die genannten Regelungen fallen, jedoch als Minderjährige eingewandert sind, seit mindestens sechs Jahren über einen legalen Aufenthaltstitel verfügen, einen Schulabschluss besitzen und eine anerkannte schulische oder betriebliche Berufsausbildung abgeschlossen haben.
Der Senat soll sich noch in dieser Woche erneut mit dem umstrittenen Gesetzesentwurf befassen. Wieder sind Proteste angekündigt. Neben neuerlichen Demonstrationen der außerparlamentarischen Rechten kündigt auch das Mitte-Rechts-Bündnis Fratelli d’Italia – Alleanza Nazionale eine Großdemo in der Nähe des Senates an. Die Fünf-Sterne-Bewegung erwägt zudem ein Referendum zu erwirken, welches das Gesetz notfalls nachträglich verhindern soll.
Ob die Versuche oppositioneller Kräfte, das Gesetz zu verhindern, erfolgsversprechend sind, dürfte eher fraglich sein. Weniger fraglich sind jedoch die Konsequenzen, welche die Einführung des Geburtsortprinzips für Italien haben werden. Nach Berechnungen auf Grundlage offizieller Bevölkerungsstatistiken könnten unmittelbar nach Inkrafttreten der Reform rund 800.000 Kinder nichtitalienischer Eltern eingebürgert werden.
https://gegenstrom.org/2017/06/19/zukunft-europa-700-identitaere-in-berliner-multikulti-stadtteil/
Ob Berlin, ob Rom, etiam si omnes, ego non.
In ganz Europa gibt es patriotische Bewegungen, denen die Zukunft ihrer Heimat nicht egal ist, schön immer wieder was aus dem Ausland zu erfahren.
Danke für diese sehr wichtige Informationen, was dort in Italien versucht wird.
Jedoch eine Frage: 310 von 459 Abgeordnete stimmten für das Gesetz. Macht 149 Stimmen die übrig bleiben. 66 stimmten „wütend“ dagegen und 89 enthielten sich, macht 155. Wie geht dies?
Ist korrigiert. Danke!