BelgradPowerbrutal

Neulich, so oder so ähnlich in Belgrad. Die Protagonisten sind Benedikt Kaiser, Volker Zierke und Dr. Dušan Dostanić, dazu mehrere zufällig oder absichtlich getroffene Personen. Eine Zuordnung der Gesprächsinhalte ist aufgrund unterschiedlicher Faktoren nicht mehr möglich. Wer unsere Autoren kennt, der findet sich vielleicht zurecht. 

»Das da hinten ist das Haus, in dem Ivo Andric gewohnt hat.«
»Wer ist Ivo Andric?«
»Das ist mein Lieblingsschriftsteller aus Serbien. Literaturnobelpreisträger.«
»Ja, da hinten ist ein Denkmal für ihn, wenn du das sehen willst.«
»Nein, da war ich schon beim letzten Mal.«
»Ja, da vorne, dieses Gebäude, das ist das ehemalige Hauptquartier von Zbor in Belgrad.«
»Zbor, das ist eine wichtige rechtsradikale Partei gewesen vor dem Krieg.«
»Dem Jugoslawien-Krieg?«
»Nein, dem Zweiten Weltkrieg.«
»Ach, ist das schön, dass wir wieder hier sind.«

*

»Pivo? Ob du ein Bier willst?«
»Pivo.«
»Drei Pivo.«
»Was trinken wir da überhaupt?«
»Das ist Jelen. Im Prinzip gibt es zwei große Brauereien in Serbien, das eine ist Jelen, das bedeutet Hirsch, das andere ist Lav. Die Werbung haben wir gesehen, so eine blaue, mit einem Löwen. Lav heißt Löwe.«
»Aha. Und was ist das Beste?«
»Also ich würde immer ein Lav bevorzugen, aber das Jelen find ich auch gut, besonders, wenn es vom Fass ist.«
»Ah, in Serbien Jelen ist nicht so beliebt.«
»Ach wirklich?«
»Ja, ist sehr durchschnittlich.«
»Pass auf, unser Bier kommt da.«
»Sehr gut.«
»Živeli!«
»Živeli!«
»Prost!«
»Ey, wir sind hier im Ausland, das ist unhöflich.«
»Halt die Fresse, ich bin ja kein Ausländer. Ich sag‘ ja zu Prag auch nicht Praha und zu Rom nicht Roma oder so eine Scheiße.«
»Und, was sagst du?«
»Geht gut rein, ich bin zufrieden.«

»Sag mal, sind die Deutschen in Serbien eigentlich beliebt?«
»Ja, eigentlich schon. Früher mehr.«
»Und Amerikaner?«
»Ah, Amerikaner sind nicht so beliebt. Engländer auch nicht. Aber Deutsche sind gut.«
»Das war ja schon früher so.«
»Ja, Ljotić war ein großer Freund der Deutschen.«
»Die Deutschen aber nicht von ihm.«
»Wieso das denn?«
»Naja, immerhin durfte er sein Freiwilligenkorps aufstellen.«
»Ja, du darfst aber nicht vergessen, dass seine Partei Zbor vor dem Einmarsch der Deutschen verboten wurde.«
»Das hat ja nichts mit den Deutschen zu tun.«
»Es ist so: Die Regierung unter dem König von Jugoslawien hat vor dem Krieg ja bereits eine Annäherung an Deutschland betrieben …«
»Aha.«
»… und dann im Frühjahr 1941 ist Jugoslawien dem Dreimächtepakt beigetreten. Dann hat das Militär geputscht, weil man gegen dieses Bündnis mit Deutschland war.«
»Aha, also wie Rumänien 1944.«
»Jedenfalls hat Hitler dann den Krieg gegen Jugoslawien und Griechenland erklärt und die Wehrmacht ist einmarschiert.«

»Pivo?«
»Pivo.«
»Pivo, pivo!«

»Eigentlich dachte Ljotić wahrscheinlich, dass er mithilfe der Deutschen Jugoslawien überwinden und ein großserbisches Reich errichten könnte.«
»Aber wie so oft, war das gar nicht so gewollt von den Deutschen.«
»Also, die Deutschen wollten Ljotić gar nicht?«
»Nein, die wollten den serbischen Nationalismus eher noch unterdrücken.«
»Ist das irgendwie so wie mit den Rumänen? Oder in Spanien? Weil, Codreanu war ja eigentlich auch ›rechter‹ als Antonescu und trotzdem ist Letzterer dann der Herrscher von Berlins Gnaden geworden und die Eiserne Garde hat dann keine Rolle mehr gespielt. Oder in Spanien dasselbe mit dem reaktionären Franco und dem Faschisten Primo de Rivera. Oder Bandera …«
»Ja, das war schon ziemlich dumm.«
»Andererseits kann man es ja auch nicht verdenken. Immerhin war für Hitler und die gesamte Wehrmachtsführung doch das entscheidende Erlebnis der Erste Weltkrieg – und da hat das mit dem Marionettenstaaten im Osten auch nicht geklappt.«
»Ja, trotzdem hätten die Deutschen mit den Serben und den Ukrainern und sogar Russen vermutlich Millionen von Verbündeten gegen die Sowjetunion gehabt.«
»Tja, hätte, hätte, Panzerkette.«

»Junge, was hast du da schon wieder bestellt?«
»Na, Schnaps. Du hast einen bestellt.«
»Ich wollte aber keinen.«
»Halt dein Maul und trink das jetzt.«
»Ich hab‘ aber keinen bestellt.«
»Ich hab‘ dich gefragt und du hast ja gesagt.«
»Du hast mir irgendwas auf Serbisch hingeworfen und gefragt, ob ich das will. Ich dachte, es geht um Bier.«
»Ist egal jetzt. Trink mit.«
»Ah, der geht sogar. Brennt nicht.«
»Das ist ein guter. Zwetschge?«
»Wie heißt das … dunja …«
»Marille? Quitte?«
»Quitte, Quitte!«
»Da hab‘ ich in Montenegro einen so guten Schnaps getrunken. Aber der war so ganz süß. Gold … irgendwas mit Gold, ich komm gerade nicht drauf.«
»Ah ja ja, ich weiß, was du meinst. Ist mir aber zu süß.«
»Wir suchen den nachher mal auf der Karte.«
»Oh Gott.«

»Im Ausland ist die Wahrnehmung auf den Balkan sehr beschränkt: Kroatien, das ist die Ustasha, Serbien, das sind die Tschetniks, Jugoslawien, das ist Tito. Aber das ist nicht so einfach.«
»Wieso?«
»Also, in Kroatien zum Beispiel, die Ustasha, das sind ja gar keine richtigen Faschisten.«
»… sondern eigentlich radikale katholische Nationalisten. Reaktionäre.«
»Ja und gleichzeitig gab es in Kroatien natürlich noch Faschisten, die gegen die Ustasha gekämpft haben.«
»Das ist aber noch komplizierter. Also, im Königreich Jugoslawien war die einzige wirklich rechtsradikale Partei die des jugoslawischen Nationalismus‘: Zbor. Es gab aber eben auch kroatische Rechte, die entweder bei Zbor oder bei Ustascha dabei waren. Die Kroaten in Zbor waren proserbisch und hatten schon vor dem Krieg gegen Ustasha wie auch gegen Kommunisten gekämpft. Manche von denen waren im Serbischen Freiwilligenkorps. Was die Situation noch komplizierter macht, ist die Tatsache, dass in Dalmatien kroatische Zbor-Leute Mitglieder bei Tschetniks von Priester Momčilo Đujić waren – zum Beispiel Roko Kaleb. Ich habe ein Brief von einem Kroaten, der ein Kommandeur von Tschetniks war und wo er schrieb, dass er ein stolzer Anhänger von Ljotić noch ist …«

»Es ist also schwierig.«
»Ja, das kann man so sagen.«
»Und heute, gibt es noch eine serbische Partei oder eine Bewegung, die pro-jugoslawisch ist?«
»Nein, eigentlich nicht. Alle sind für Serbien.«
»Ach so, keine für Jugoslawien?«
»Nein, das ist eigentlich tot. Serbien ist Serbien.«

»Ich würd‘ mal das andere ausprobieren.«
»Pivo?«
»Nikšićko. Das ist montenegrinisches Bier.«
»Ja, aber es ist in Serbien abgefüllt.«
»Wo liegt eigentlich Trebjesa?«
»Das ist ein Berg in Montenegro. Das Bier kommt aus Nikšić.«
»Ach so.«
»Montenegro, das ist ja eigentlich Küsten-Serbien.«
»Also Serbien?«
»Ja, wie der Kosovo.«
»Ah, das finde ich besser.«
»Ist gut, oder? Obwohl es von der Flasche ist. Wenn ich kann, trinke ich ein Bier eigentlich vom Fass. Aber ich muss echt sagen, das wiegt sich hier auf. Aber es ist schon verrückt, oder? Dass die hier Bier aus Montenegro verkaufen?«

*

»Cool shirt. Where did you get it?«
»A friend bought it, I think. And regularly, he gives them away.«
»I thought, you were on a concert.«
»Nah, Von Thronstahl didn’t play since 2014 or so.«
»Yeah, Von Thronstahl was it, what got me into Martial industrial. And after that, I got into bands like Joy Division, because of the cover. We walked in line.«
»Funny that you mention it. Normally, it is the other way round.«
»How about you?«
»I got from Heavy Metal to Black Metal.«

»Ja, meine Frau hört auch Black Metal.«
»War das ein großes Ding in Serbien?«
»Es geht, es gab einige Konzerte.«
»Das ist ja meistens sehr kompliziert. Viele im Black Metal sind ja eigentlich rechts, aber zum Beispiel in Polen, sind die meisten Rechten auch katholisch und im Black Metal sind sie ja alle satanistisch oder wenigstens, naja, sagen wir mal religionskritisch und deswegen passt das nicht so recht.«
»Das ist in Serbien kein Problem. Man kann zur Religion stehen, wie man will, aber über Serbien gibt es keine Diskussion.«
»Das bedeutet …?«
»Also, es gibt dieses serbische Kloster auf dem Berg Athos. Es ist ein Nationalheiligtum. Heilig, heilig, heilig für jeden Serben. Und 2004 ist das Kloster abgebrannt. Es gab ein serbisches Black-Metal-Konzert zu dieser Zeit und einer der Besucher, er war ziemlich betrunken, er hat gerufen ›Wir zünden es an! Wir sollten noch mehr anzünden!‹ Der Sänger von dieser serbischen Black-Metal-Band hat daraufhin seine Faust gehoben und ihm eine reingehauen. Er sagte dann: ›Wir können gegen die Kirche sein, aber dieses Kloster ist Serbien!‹«

»So, you belong to the club, or …?«
»Yeah, but I am also in Carostavnik group. I make the graphics for them, but also for other groups. Sometimes it is funny, because other groups ask me to do some graphics for them and later, when our people are asking, who did that, I tell ‘em, I was.«
»So you don’t hate each other?«
»Ah, well, there is a lot of hate.«
»What do you think about Milošević?«
»Naah …«
»Not good?«
»He was a commie.«
»Yeah, but also he was a Serbian nationalist, wasn’t he?«
»Try finding someone who isn’t. I think he made many mistakes. But the way he was brought to Den Haag … embarrassing.«
»He was hiding and then caught?«
»No, no. He was extradited. By his own people. This is treason.«

»Ah, Carostavnik, das ist alte, alte, ganz-alte Rechte.« 
»Monarchisten?«
»Ja, das auch. Und Traditionalisten, aber sehr extrem. Aber sie haben sich von der serbisch-orthodoxen Kirche abgespaltet, weil sie finden, dass die Kirche zu liberal und zu ökumenisch ist. Es ist verrückt.«
»Aber die Orthodoxie ist doch noch in Ordnung, verglichen mit der katholischen Kirche, oder?«
»Ja, sicher. Am Montag ist Europride in Belgrad …«
»Was?«
»Ja, Gaypride. Und der Patriarch von Belgrad ist jetzt auf unserer Seite. Er hat im Fernsehen gesagt, die Menschen auf der Europride sind … er hat gesagt, sie sind ›evil‹. Er hat das genauso gesagt. Er hat aber auch dazu aufgerufen, nicht gewalttätig zu werden. Er sagte, man muss gegen diese bösen Leute kämpfen, aber nicht mit körperlicher Gewalt. Ich glaube, es kommen Hunderttausende zu den Gegenprotesten.«
»Was wählst du selbst eigentlich?«
»Es ist eine kleine Partei, die nur fünf Prozent oder so holt. Sie ist monarchistisch, aber das ist mir egal.«
»Bei seiner Partei gehen Priester mit auf die Demonstrationen und schwenken dann die Fahne von … von Serbien.«

»William Butler Yeats once said: ›Hammer your thoughts into unity.‹ He reminds us of the discipline military-like we have to keep in order to pursue our goals. He reminds us of the unity, a unity, we need to not be torn apart by the liberal modern age. Our thought is Europe, a new, youthful Europe. Let us hammer it into unity. And let’s start with it immediately. To be precise: Tonight.« 

»Möchtest du noch ein Bier?«
»Ja, aber nimm das aus der Flasche, nicht das Craftbier.«
»Zwei Pivo, please!«

»Alter, ist hier das Bier alle?«
»Wir müssen jetzt dringend gehen.«
»Nein, das wäre extrem unhöflich. Es wäre extrem unhöflich, wenn wir vor vier Uhr nachts gehen.«
»Taxi!«

*

»Das ist eine russisch-orthodoxe Kirche, in der General Wrangel begraben liegt, der letzte Heerführer der weißen Armee.«
»Aber gehen hier auch Serben in die Kirche oder nur Russen?«
»Es gehen auch Serben rein. Wir können mal reinschauen … aber nein, es ist voll. Es ist gerade Gottesdienst und alles ist voll. Wir gehen hier entlang.«

»Das ist das RTS-Gebäude, das serbische Staatsfernsehen. NATO hat es bombardiert, 16 Menschen sind dabei gestorben.«
»Zivilisten aber.«
»Ja, Zivilisten. Es hat geheißen, von dort würde Propaganda verbreitet und deswegen hat man es bombardiert. Es gibt eine große Diskussion in Serbien, ob man das Gebäude so lassen soll oder ob man es erneuern soll. Jetzt steht es so da.«
»Können wir die Stelle anschauen, wo die Serben die F-117 abgeschossen haben? Den Tarnkappenbomber?«
»Ah, das ist weiter weg. Ungefähr in diese Richtung, außerhalb von der Stadt.«

»Hast du das Graffiti mit dem durchgestrichenen NATO-Zeichen gesehen?«
»Ja, die gibt es hier überall.«

»Und, wie ist die Lage jetzt? Noch Ärger mit Kroatien?«
»Nein, kein Problem mit Kroatien.«
»Als ich in Montenegro war, war alles voll mit Serbien-Flaggen.«
»Ja, in den Städten, in denen die Serben wohnen, ist das normal. Aber es sind nicht alle Städte so.«
»Und Montenegro ist jetzt in der NATO.«
»Ja, das hat zu großen Protesten geführt.«
»Und Kosovo?«
»… ist Serbien. Kosovo ist heiliges serbisches Land, weißt du.«
»Wegen der Schlacht auf dem Amselfeld?«
»Ja, genau, es ist sehr wichtig für das Selbstverständnis von Serbien. Es gibt kein Serbien ohne den Kosovo.«
»Also vielleicht so, wie es kein Deutschland ohne Preußen gäbe.«
»Ja, vielleicht.«

*

»Boah, ist das geil.«
»Das sieht schon ultra ranzig aus.«
»Ja, mega geil. Leute, es ist historisch. Hier spielt Rad! Es gibt kein Partizan, es gibt keinen Roten Stern, nur Rad!«
»Außerdem ist hier früher Zbor aufmarschiert, es gibt Bilder aus den 30er Jahren, mit tausenden von Leuten.«
»Schau mal, hier ist ein Aufkleber von der Hooligan-Truppe von Rad. Marko hat mir das gestern erzählt. Bei Rad sind alles Rechte.«
»Ich glaube, in Serbien sind eh alles Rechte.«
»Ja, das stimmt. Das habe ich Marko auch gefragt. Und er sagte, die Rechten bei Partizan und Roter Stern sind so … ja, wie soll ich das sagen …«
»Bauern?«
»Ja, so ungefähr …«
»So, Bauernrechte. Also, das sind Vereine wie der FC Bayern München und wenn die Fans rechts wären, dann wären das trotzdem noch FC-Bayern-München-Fans, also so …«
»Ja, Bauern halt …«
»Ich hab‘ früher während des Studiums immer Bayern geschaut.«
»So siehst du aus.«

»Pivo?«
»Welches haben die hier?«
»Nikšićko.«
»Sehr gut, ich nehm‘ eins.«
»Nikšićko? Nikšićko? Nikšićko? Tri Nikšićko.«
»Hey, du kannst ja richtig Serbisch.«
»Der Kellner sagte gerade eben, dass du, wenn du möchtest, gern runter ans Spielfeld gehen kannst und Fotos machen darfst.«
»Echt? Ja, mega gut.«
»Achte darauf, die Plastiktüte da zu filmen, wie die übers Feld weht.«
»Leute, das ist echt historisch.«

»Oh, das war der Chef. Er sagte, er geht jetzt noch einmal nach Hause und bringt uns hausgemachten Ajvar, weil er uns mag.«
»Das ist unglaublich. Aber er muss doch nicht bis nachhause gehen wegen uns.«

Nur wenige Minuten später kam der Chef wieder zurück und servierte den Gästen den hausgemachten, vorzüglichen Ajvar. Anschließend bestellten die Protagonisten je ein weiteres Nikšićko. Nach dem Austrinken und dem Begleichen der Rechnung kehrten sie in ihre Heimat zurück und erzählten allen, wie toll es in Belgrad ist.

(Autor: Volker Zierke)

Mehr über Zierke und seine Bücher findet sich hier. Multimediale Eindrücke der Serbien-Reise unserer Autoren sind bei Telegram und Twitter zu finden. Ein älterer Text von Zierke zu Belgrad kann außerdem gleich hier gelesen werden.

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